Richard Wagners Lohengrin
Mitgeteilt von Dr. Fr. Lißt
Illustrirte Zeitung, 12. April 1851

So verschieden auch die Ansichten über den Grad der Bewunderung, Teilnahme oder Billigung sein mögen, den Richard Wagner´s musikalische Leistungen zu beanspruchen haben, so werden doch selbst seine erklärtesten Gegner und Schmäher den glänzenden Reichtum seiner Harmonien, die geistvolle Behandlung des Orchesters, die unermeßliche Arbeit und die sorgfältigen Studien, von denen sie Zeugnis geben, nicht wegleugnen können. Jedes seiner Werke ist tief durchdacht und kenntnisvoll ausgearbeitet. Der Styl ist erhaben, fern ist alles Gemeine. Die Stoffe sind poetisch und er versteht es, ihre ganze Wirkungskraft zur Geltung zu bringen. Wenn seine Opern bis heute noch wenig bekannt sind, wenn die Theaterdirektionen zögern, sie zur Aufführung zu bringen, so darf man den Grund hiervon gewiß nicht in den materiellen Schwierigkeiten suchen, die ihre Aufführung haben würde: - sie wären bald überwunden! - er liegt vielmehr in den weit bedeutenderen Hindernissen, die sich in der Einführung eines neuen Systems in die Kunst der dramatischen Composition entgegenstellen, und zu denen auch der Umstand gehört, daß unter allen Künsten gerade diese am gebieterischsten die Gunst des Publicums erfordert, das sich immer so hartnäckig gegen alle Neuerungen zu sträuben pflegt. Unter den vielen Ideen, die Wagner in seinen Schriften über die Kunst und ihre Zukunft niedergelegt hat, - Ideen, die wir nicht beabsichtigen, in ihren mannigfaltigen Verzweigungen hier zu wiederholen, - ist die Conception des Dramas unter bisher nicht versuchten Bedingungen diejenige, die am unmittelbarsten auf die Richtung seines Genies einwirkt. Lange Zeit hat man sich begnügt, den Bühnenaufführungen ihre hauptsächliches Interesse aus der einseitigen Entfaltung einer der beteiligten Künste schöpfen lassen, während die anderen als Beiwerk verwendet wurden; so begnügte man sich z.B. mit einer nur allzumittelmäßigen Musik in den Zwischenacten der Tragödien; man verlangte ein nur geringes Maß von Wahrheit und Poesie in den Operntexten, man legte wenig Gewicht auf Spiel und Gebehrde der Sänger u.s.w. Einzelne Ausnahmen, in denen die Nebenkünste zu höherer Vollkommenheit gelangten, nahm das Publicum mit Anerkennung auf, ohne jedoch darin einen Grund zur Ungerechtigkeit gegen die sonst gewohnten Leistungen zu finden. - Es erstand aber ein überragendes Genie, ein sprühender Flammengeist, berufen eine doppelte Krone von Feuer und Gold zu tragen, der träumte kühn, wie Dichter träumen, ein Ziel so hoch sich zu stecken, daß wenn es je von der Kunst erreicht und von der Gesellschaft anerkannt werden kann, dies sicher nur in einer Zeit geschehen wird, wo das Publicum sich nicht mehr aus jener schwankenden, gelangweilten, zerstreuten, unwissenden und hochmütigen Masse zusammensetzen wird, die zu unseren Tagen in die Schauspielhäuser kommt, zu Gericht zu sitzen und Gesetze zu dictieren, deren Macht selbst die Kühnsten kaum zu lähmen versuchen. Wagner, der Künstler voller Leidenschaft, dem man nicht bloße Gewissenhaftigkeit in seiner Liebe zum Schönen nachrühmen kann, - denn er ist verzehrt von der edlen, innerlich brennenden Wunde des Kunst-Fanatismus, Wagner, dessen Geist durch seine natürliche Fähigkeiten wie durch seine hohe Bildung gleich empfänglich für die Reize aller Künste war, und dessen Herz mit gleichem Feuer vor des Euripides wie vor Gluck´s Iphigenia schlug, Wagner setzte sich über unsere althergebrachten Gewohnheiten und Gebräuche hinweg. Verletzt durch jede Einzelheit, in der das wichtigste Element der ganzen Darstellung nicht in höchster Schönheit auftrat, glaubte er, man brauche nur zu wollen, um ein Drama zu schaffen, das alle Künste, die das Theater umfaßt, in gleicher Vollkommenheit in sich schlösse. Er überzeugte sich, daß die Erscheinung eines solchen Dramas nothwendig die Art und Weise verschwinden müsse, die darin bestand, abwechselnd zum Vortheil einer bevorzugten Kunst die Hilfe mehrerer anderer anzurufen, die nur als Nebenkünste dienten, und nicht etwa sich selbst zu entfalten, sondern nur  die vom Autor bevorzugte Kunst besser hervortreten zu lassen, bestimmt waren. Wagner erkannte es für möglich, die Kunst des Wortes, die des Tons und die der Gebehrde, ebenso wie die übrigen Zweige der Kunst, die auf der Bühne verwendet werden, in einem einzigen Bund zu verknüpfen, unauflöslich zu vereinen und innig zu durchflechten. Nach ihm soll jede von ihnen die Wirkung, die sie alle durch ihr wunderbar harmonisches Zusammenspiel hervorzubringen berufen sind, eingeschlossen sein.

Es sei uns ferne über den Gehalt der bereits leidenschaftlich gewordenen Argumente, die sich in der musikalischen Welt Deutschlands kreuzen, in der Absicht abzuurtheilen, diese Vorahnung einer so umfassenden Eroberung für die glänzenden Offenbarungen der Kunst anzugreifen oder zu verteidigen. Wagner´s Idee ist verwegen, aber schön; sein Ziel ist kühn und würdig eines großen Künstlers, selbst wenn es unerreichbar wäre. Wo solche Bestrebungen, unterstützt vom Genie auftreten, da wird es, selbst wenn sie Irrthümer wären, fast ebenso überflüssig sie mit trockenen Vernunftgründen zu loben, als sie zu bekämpfen. Zeugen sie nicht genug zu ihren eigenen Gunsten durch den Glanz des Ziels, das sie zu erreichen streben? Werden sie nicht genug zu kämpfen haben gegen die Thatsachen und natürlichen Hindernisse, die ihnen auf ihrem Wege begegnen werden? Wenn ihnen vom Schicksal der Sieg bestimmt ist - und könnte man nach so vielen unvorhergesehenen Siegen ihnen diese Aussicht absprechen? - warum dann die Räder eines so schönen Triumphwagens hemmen? Wir haben also durchaus nicht die Absicht, hier Alles, was für oder wider Wagner´s System gesagt werden kann, auseinander zu setzen. Es gibt genug Solche, die mit hitziger, leidenschaftlicher Parteilichkeit dabei zu Werke gehen werden, die uns bei der Besprechung durchaus ferne bleibt, und die vielleicht unerläßlich ist, um alle Vorzüge und Fehler eines Systems ins rechte Licht zu setzen. Wir haben uns verpflichtet gefühlt, diesen summarischen Überblick über die Ideen des Dichters des "Tannhäuser" von dem Drama zu geben, da "Lohengrin", sein neuestes Werk, das vor Kurzem in Weimar zum ersten Mal aufgeführt wurde, unter allen dasjenige ist, welches seine Ideen am entschiedensten kund gibt, und von den innersten und lebhaftesten Empfindungen beseelt zu sein scheint, daher auch die edelsten Züge der Individualität Wagner´s am klarsten wiedergibt, und unmöglich gerecht beurteilt werden kann, wenn man darin den alten Schnitt einer Oper, die gewohnten Einrichtungen der Gesangsstücke, die angenommene Verteilung der Arien, Romanzen, Soli und Tutti, kurze das ganze jetzt herrschende Verfahren zur Geltendmachung der Sänger und Melodien, in einem willkürlichen, oft die Ersteren begünstigenden Verhältniß, suchen will. Wagner schwört freilich jede Beachtung der gewöhnlichen Forderungen einer prima donna oder eines basso cantante ab. In seinen Augen gibt es keine Partien, sondern nur Rollen, und er findet es ganz natürlich, eine erste Sängerin während eines ganzes Actes schweigen zu lassen, wo ihre Gegenwart, effektiv notwendig zur Wahrheit der Scene, durch ein stummes Spiel bemerkbar wird, das von jeder italienischen diva einerseits vornehm verschmäht werden würde, andererseits weit über ihre Kräfte ging. Man darf hier nicht erwarten Cabeletten oder jene Stücke zu hören, die sich auf den Pulten der Dilettanten heimisch machen; es wäre mehr als schwer einen Teil von der so vollkommenen compacten Einheit loszutrennen, die diese Opern durch die Wirkung ihres durchgehend in noch nie erforschte Regionen gehaltenen, fast ebenso vom einfachen Recitativ als von den cadenzgeschmückten Phrasen unserer großen Arien entfernten Styls ausmachen. Im Gegenteil, man muß gefaßt sei, Menschen zu sehen, die viel zu sehr von ihren Leidenschaften durchdrungen sind, um sich mit Trillern und Läufern ihre Zeit zu vertreiben, und bei denen der Gesang, wie die Verse in der Tragödie, zur natürlichen Sprache wird, die, weit entfernt den Gang der dramatischen Handlung zu hemmen, sie nur noch wirkungsvoller macht. Und während sie mit einer zur Erhabenheit sich aufschwingenden Einfachheit deklamieren, findet die Musik in Wagner´s Orchester ihre Grenzen um vieles erweitert. Denn im Orchester läßt er die Seelen, Leidenschaften, Gefühle und leisesten Empfindungen seiner handelnden Personen sich abspiegeln, um sie uns zu enthüllen. Das Orchester wird bei ihm wie ein Echo zum feinen Gewande, das uns alle Zuckungen ihrer Herzen erkennen läßt: sie schlagen, möchte man sagen, in Mitte dieser Umgebung, und durch die klingenden, durchsichtigen Scheidewände gewahren wir ihre leisesten Regungen, ihre heftigsten Wallungen. Da hören wir den Schrei des Hasses, die Wuth der Rache, die Zärtlichkeit der Liebe, das Entzücken der Anbetung! Die geheimnißvollsten Träume zeichnen sich dort in zerfließenden Nebelbildern, die stolzesten Pläne malen sich dort in glänzenden Farben.

Welches Schicksal auch die Zukunft dem System Wagner´s bestimme, so ist doch nach unserer Ansicht nicht zu zweifeln, daß die Kenntniß seiner Leitungen früh oder spät die Opernkomponisten zu einer sprechenden, enger als bisher mit der Natur ihres Stoffes zusammenhängenden Orchestration, und namentlich zu einer Wahl von Opernbüchern führen wird, deren Gewebe ein erstes und fortdauerndes Interesse bieten und deren Dichtung einen von den musikalischen Rhythmen unabhängigen Reiz zu zeigen im Stande sein wird. Wenn man die schönsten Tragödien aller Zeiten unbarmherzig verstümmelt und zu ungestalteten Massen erbärmlicher Verse reduciert sieht, wo sichs darum handelt, den Ausdruck der Leidenschaften, die sie darstellen und die dramatische Bewegung der Situationen, die sie herbeiführen, auf Gebiet der Musik zu übertragen, so kann man nur die lebhafteste Freude darüber empfinden, daß sich endlich Hoffnung zeigt, die unhaltbaren Unwahrscheinlichkeiten, die lächerlichen Reime, die groben Motivierungen, kurz die schlechtesten Producte der Einbildungskraft, die man so lange für gut hielt, den bewundernswertesten Meisterwerken des musikalischen Genies zur Grundlage dienen, eines Tages verbannt zu sehen. Ist es denn nicht Zeit für den Componisten, sich zu weigern, Opernbücher von jenem Schlage anzunehmen, die Voltaire mit dem beißenden Spott seines so oft, und mit Recht, wiederholten Witzwortes brandmarkte: "was zu albern ist, um gesagt zu werden, das singe man!" -Was uns anbetrifft, so glauben wir, wenn es zum Äußersten käme und man zwischen zwei Uebeln wählen müßte, würde es doch, als das Geringste, vorzuziehen sein, Das einfach zu sprechen, was des höheren musikalischen Ausdrucks unwerth wäre.

Das Buch des "Lohengrin" ist wie gesagt, an sich ein dramatisches Kunstwerk, das Schönheiten ersten Ranges enthält. Um den Gang des Stückes im Theater wohl zu verstehen und die ganze Bedeutung und Tragweite der Musik von den ersten Takten des Vorspiels an gehörig zu erfassen, muß man das Geheimniß kennen, auf dem die ganze Handlung sich ergeht. Dieses Geheimniß beruht auf jenen Ueberlieferungen vom h. Gral, die man in den Ritterromanen findet, und die eine so bedeutende Stelle in den Dichtungen Wolfram´s von Eschenbach und einiger seiner Zeitgenossen behaupten. Die Fabel des "Lohengrin" ist aus jenen Ueberlieferungen geschöpft und weicht in der Hauptsache der Begebenheiten nur da, wo es die Anlage des Dramas erfordert, von ihnen ab. Aber mit welcher Poesie hat Wagner sie ausgestattet? - Was sind auch die Begebenheiten? die Offenbarungen des Schicksals. Wie langweilig wäre die Erzählung der Unglücksfälle, die auf dieser Reise aufstoßen, deren Straße ebenso rauh, ebenso uneben für die Einen, wie die Anderen ist! Wenn die Begebenheiten Interesse einflößen, so geschieht dies durch die Empfindung der Teilnahme, des Schmerzes oder der Freude, die sie im menschlichen Herzen erwecken, und durch die poetische Bedeutung, die ihnen zu Grunde liegt. - Sehen wir nun, welche Bewandniß es in dieser Hinsicht mit dem vorliegenden Stoffe hat.

Der Mythos vom h. Gral ist, wie Wagner in seinen "Nibelungen" nachgewiesen hat, der Erbe und Nachfolger des Nibelungenhorts. Als dieser durch das Christentum, mit welchem es sich, als in enger Beziehung zum spezifisch-germanischen Heldenthum stehend, nicht verschmelzen konnte, zu einer Fabel geworden war, die alles tiefen Sinnes entbehrte, trat die Sage vom h. Gral, deren provenzalischer ursprünglicher Kern sich leicht mit verwandte altjüdischen, und in der Folge auch christlich-biblischen Anschauungen verbinden ließ, als Symbol alles Dessen, was dem Volk in jener Zeit begehrenswert erschien, in die Welt. Die Schale, in der Joseph von Arimathia das Blut, das aus der Seitenwunde des Erlösers floß, auffing, wurde als Heiligtum gehütet und von einer erlesenen Ritterschaft gepflegt, deren Mitglieder durch den Anblick des Heiligtum gestärkt, aller Todsünde frei blieben. Diese Kraft erneuerte sich jeden Karfreitag durch eine heilige Oblate, die von einer Taube in den Gral niedergelegt wurde. Die Ritter genossen irdisches Glück und himmlische Seligkeit. Nur wer durch göttliche Wahl zum Dienste des Grals erlesen war, fand den Tempel, inmitten eines Zypressenwaldes, von Gold, Edelsteinen und duftenden Aloeholz erbaut, während er jedem Anderen unerreichbar war. Zu diesem geheimnißvollen Mittelpunkt alles sagenhaften Strebens, das seinen historischen Grund in den Kreuzzügen fand - wie auch der Gralstempel im Morgenlande sein sollte - wurde nach Aufgehen des Hortes in dem Gral, und namentlich nachdem der Kaiser Friedrich der Rotbart auf seinem Kreuzzuge in ungetümen Drange in einem Fluß den Tod gefunden hatte, die durch gleich geheimnißvollen Charakter sich auszeichnenden Sage vom Schwanenritter gebracht, der von dannen ziehen muß, wenn verbotener Weise nach ihm geforscht wird. Daraus entstand die herrliche Sage, in der wir den tragischen Kampf des Glaubens mit der Liebe - wie Wagner ihn in seiner Dichtung gedeutet hat - zu erkennen haben. Lohengrin, der Sohn des Parsivals, des "Herren von dem Gral", und selbst Gralsritter, reinigt im Gotteskampf die junge schwer angeklagte Herzogin von Brabant, verbietet ihr nach seinem Wesen zu forschen und macht dieses Verbot, nach dem Gesetzt des Grals, zur Bedingung ihres Bleibens. Die Liebe macht ihr die Erkenntniß des Geliebten zum unabweisbaren Bedürfniß, sie wagt die verhängnißvolle Frage und er muß sie verlassen. - Am Ausführlichsten ist diese Erzählung in einem Gedichte aus der Zeit der Minnesänger behandelt, welches Wolfram von Eschenbach, der echte Repräsentant religiös-schwärmerischen Glaubens, wie die Chroniken sagen auf die Bitte des Landgrafen von Thüringen und in Gegenwart der versammelten Edelfrauen gesungen haben soll, und zwar an jenem Tage, wo Klingsohr, sein selbst gegenwärtiger Feind, ihn zum Bösen versuchend, und durch Darlegung einer der seinigen überlegenen Wissenschaft ihm Neid zu wecken strebend, allerlei Fragen an ihn richtete, die ihn in Verlegenheit setzen sollten, die er aber durch Hülfe der heil. Jungfrau, der er so treu diente, mit überraschender Leichtigkeit und sinniger Einfachheit so zu lösen wußte, daß sein Widersacher selbst in Verwirrung geriet.

Wagner hat der Ouvertüre zum "Tannhäuser" den Umfang einer großen symphonischen Komposition gegeben und obgleich die hervorragenden Motive der Oper, der Pilgergesang, das Tannhäuserlied mit dem Gesang der Venus und der übrigen Venusbergmusik ihren ganzen Bestand ausmachen, so kann doch diese Ouvertüre nichtsdestoweniger als ein besonderes Werk betrachtet werden, welches, vom übrigen getrennt, seinen inneren Wert immer behalten und selbst von Denen verstanden und bewundert werden könnte, die das Drama, dessen herrliches Resume sie ist, nicht kennten. Anders verhält es sich mit dem Vorspiel des "Lohengrin". Zu kurz - denn es hat nur 75 Takte - um einzeln aufgeführt zu werden, ist es nur eine Art Zauberformel, die gleich einer geheimnißvollen Einweihung unsere Seelen zum Anschauen ungewohnter und über die Empfindungen unseres irdischen Lebens erhabener Dinge vorbereitet. Es offenbart uns das mystische, im Stück immer gegenwärtige und immer verborgene Element, das göttliche Geheimniß, die übernatürliche Triebfeder des höchsten Gesetzes des Schicksals der Personen und der Kette der Begebenheiten, die wir sehen sollen. Ums uns die unbeschreibliche Macht des Geheimnisses zu erklären, zeigt uns Wagner zuvörderst die unsägliche Schönheit des Heiligtums, das ein Gott bewohnt, der die Unterdrückten rächt und einen demüthigen Glauben von seinen Getreuen fordert. Er läßt uns den hl. Gral erkennten; er läßt vor unseren Augen diesen Tempel von Aloeholz mit den duftenden Wänden, mit den goldenen Pforten, mit den Wölbungen von Onynx, mit den Vorhöfen von Opal sich abspiegeln, deren strahlende Eingänge nur von Denen erreicht werden, deren Herz hoch, und deren Hände rein sind. Doch nicht in seiner majestätischen Größe läßt er ihn uns sehen, sondern abgespiegelt in einer azurnen Welle oder zurückgestrahlt von einem Regenbogengewölk. Am Anfang ist ein breiter, stiller See ruhiger Melodie, der sich ausbreitet, das heilige Bild in seinem Nebel unseren irdischen Augen zu zeichnen: - eine Wirkung, die den Violinen allein, an acht Pulten verteilt, anvertraut ist, und die nach wenigen Takten harmonische Töne in den höchsten Noten ihres Registers das Motiv anstimmen. Nach den Violinen wird es von den sanftesten Blasinstrumenten wiederholt; die herzutretenden Hörner, Fagotte, Violoncelle und Bässe bereiten den Eintritt der Trompeten und Posaunen vor, die die Melodie zum vierten Mal, und zwar mit einem so blendenden Glanz des Colorits wiederholen, daß wir in diesem Augenblick den heiligen Tempel vor unseren geblendeten Augen in seiner ganzen Herrlichkeit glänzen zu sehen glauben. Aber wie ein flüchtiger Himmelsschein verlöscht schnell das lebendige Funkeln, das so allmälig zum Glanze des Sonnenstrahls angewachsen war. Der durchsichtige Dunst der Wolken schließt sich wieder, die Erscheinung verschwindet nach und nach in demselben Weihrauch, in dessen Mitte sie erschienen war, und das Stück endigt mit den ersten sechs, noch ätherischer gewordenen Takten. Der Charakter geheimnißvoller Übernatürlichkeit ist hauptsächlich durch das immer beibehaltene Pianissimo im Orchester wiedergegeben, welches kaum durch den kurzen Moment unterbrochen wird, wo die Blechinstrumente die wunderbaren Klänge des einzigen Motivs dieser Einleitung im höchsten Glanze ertönen lassen. - Dies ist das Bild, das sich beim Anhören dieses merkwürdigen Andantes unseren bewegten Sinnen darstellt. Schwer wäre es, die Empfindungen zu beschreiben, die dabei geweckt werden, und die sich den hinreißendsten Entzückungen, die unsere Herzen nur irgend fassen können, nähern. Wenn Dante, um uns die Seligkeiten des letzten Himmels zugleich mit seinen Schönheiten begreiflich zu machen, die Chöre der glücklichen Seelen, gruppirt und gedrängt in unzähliger Menge, den Blättern einer Rose vergleicht, die sich alle zu einem Mittelpunkt neigen, so möchten wir, da der hinterlassene Eindruck dieser Töne nur durch ein anderes Bild sich übersetzt läßt, fast sagen, daß man von geheimnißvollen Höhen des Feuerhimmels herabzusteigen glaubt, daß sie der asketischen Trunkenheit gleichen, die gewiß in uns der Anblick der mystischen Blumen des Himmelreichs wecken würde, die ganz Seele, ganz Göttlichkeit sind und in ihrer Umgebung ein Glück voll süßen Schauers verbreiten. Die Melodie erhebt sich anfangs wie der schwache, lange und schmale Kelch einer einblätterigen Blume, um sich sogleich in einer breiten Harmonie zu öffnen, auf welcher sich feste Hauptpunkte in einem Gewebe von so unfühlbarer Feinheit zeichnen, daß der durchsichtige Flor von einem himmlischen Hauche geschwelt zu sein scheint; nach und nach verwischt sich das Colorit und zerfließt in verschwimmender Erschlaffung, bis sich Alles in unmerkliche Düfte verflüchtigen, die uns wie ein Hauch vom Wohnorte der Gerechten anfächeln.

Der Zuschauer wird, wenn er vorbereitet und gefaßt ist, keins von jenen getrennten Stücken zu suchen, die, auf den Faden irgend eines Intrigue eins ans andere gereiht, den Bestand unserer Opern bilden, ein eigentümliches Interesse finden können, während dreier langen Akte die tief durchdachte, stauneswürdig geschickte, geistvolle und poetisch-intelligente Kombination zu verfolgen, mit der Wagner aus fünf oder sechs Hauptphrasen einen melodischen Knoten geschürzt hat, der sein ganzes Drama in sich schließt.

Die Windungen, die seine Phrasen machen, indem sie sich binden und um die Worte der Dichtung herschlingen, sind von einer Wirkung, die in die Seele greift. Aber wenn man, von der Aufführung in Erstaunen versetzt und angeregt, sich genauere Rechenschaft geben will von Dem, was uns so lebhaft bewegt hat, und dann die Partitur dieses so ungewöhnlichen Werkes zu studieren unternimmt, so möchte man fast versteinern vor Bewunderung all der Intentionen und Nuancen, die sie enthält, und die man unmöglich gleich zu fassen vermochte. Welche Epen und Dramen großer Dichter müßte man nicht lange studieren, um ihrer ganzen Bedeutung auf den Grund zu kommen? Wagner gelingt es durch ein Verfahren, das er auf überraschende Weise anwendet, den Bereich und die Ansprüche der Musik weit auszudehnen. Nicht zufrieden mit der Gewalt, die sie über die Herzen ausübt, indem sie die ganze Reihe menschlicher Empfindungen weckt, macht er es ihr möglich, unsere Ideen anzuspornen, sich an unsere Gedanken zu wenden, an unsern Verstand zu appellieren, und verleiht ihr so einen moralischen und intellektuellen Sinn. Schon hatten wir in den Hugenotten die Rolle des Marcel gleichsam zusammengelötet gesehen mit dem Choral Luther´s, der nicht nur seinen Glauben, sondern die ganze unbeugsame Erregtheit seines Geistes, den ganzen Sinn seiner Handlungen beleuchtete. Wagner hat diese so glückliche Intention Meyerbeer´s noch übertroffen. Er hat die Charaktere seiner Personen und ihrer bezeichnenden Leidenschaften in Musik übersetzt und mit besonderen, sich auf sie beziehenden Melodien begabt. Diese Melodien treten, sei es im Gesang oder in der Begleitung, jedesmal wo die Leidenschaften, die sie bezeichnen, im Spiel sind, hervor. Diese systematische Beharrlichkeit ist mit einer Verteilungskunst verbunden, die durch die Feinheit der psychologischen, poetischen und philosophischen Andeutungen, die sie gibt, selbst Denen, für die reine Musik eine terra incognita ist, ein hohes Interesse bieten würde. Indem Wagner unser Nachdenken und unser Gedächtniß zu so beständiger Tätigkeit zwingt, entreißt er schon dadurch allein die Wirksamkeit der Musik dem Gebiet unbestimmter Rührungen und bereichert ihre Reize durch Freuden des Geistes. Durch diese Methoden, die die oberflächlichen Genüsse einer Reihe von kaum unter einander verwandten Gesängen steigert, fesselt er die Aufmerksamkeit des Publikums bereitet höhere Freuden Denen, die sie zu würdigen wissen. Die Melodien sind gewissermaßen Personifikationen von Ideen. Ihre Wiederkehr verkündet die Wiederkehr der, durch die ausgesprochenen Worte nicht immer klar darzulegen, Gefühle. Diesen Melodien gibt Wagner die Bestimmung, uns alle Geheimnisse der Herzen zu offenbaren. Es sind Phrasen darin, z.B. die der ersten Szene des zweiten Aktes, die die ganze Oper wie giftige Schlangen durchschleichen; andere, wie die der Einleitung, die nur selten wiederkehren, um die höchsten und göttlichsten Offenbarungen zu bringen. Alle Situationen oder Personen von einiger Wichtigkeit sind durch eine Melodie, die ihre beständiges Symbol wird, musikalisch ausgedrückt. Da aber diese Melodien von seltener Schönheit sind, so können wir selbst Denen, die in dem Studium einer Oper nur die reine Tonkunst zu berücksichtige sich begnügen, versichern, daß die Musik, selbst wenn sie von ihrem schönen Text getrennt würde, immer noch eine Leistung ersten Ranges bliebe.

Wenn der Vorhang aufgezogen wird, sieht man den Herzog Heinrich den Vogler, angekommen in Brabant, um die Edlen des Landes zum Heeresgefolge zu entbieten, da er im Begriff steht, einen Feldzug gegen die Ungarn zu unternehmen. Die Handlung spielt im zehnten Jahrhundert, an den Ufern der Schelde, wo die Herzöge, Grafen und Edlen um ihn versammelt sind, umgeben von Vasallen und Kriegsvolk. Bei seiner Ankunft findet der Kaiser das Land zerrissen von innerem Streit und Haß der vornehmsten Edlen. Er befragt den Grafen Telramund, als den Tapfersten und Berühmtesten, um den Grund der Drangsal; dieser beginnt zu erzählen:

"Zum Streben kam der Herzog von Brabant,
Um meinem Schutz empfahl er seine Kinder,
Elsa, die Jungfrau, und Gottfried, den Knaben:
Mit Treue pflog ich seiner großen Jugend,
Sein Leben war das Kleinod meiner Ehre.
Ermiß nun, König, meinen grimmen Schmerz,
Als meiner Ehre Kleinod mir geraubt!
Lustwandelnd führte Elsa einst den Knaben
Zum Wald, doch ohn´ ihn kehrte sie zurück;
Mit falscher Sorge frug sie nach dem Bruder,
Da sie, von ohngefähr von ihm verwirrt,
Bald seiner Spur-sprach sie-nicht mehr fand.
Furchtlos war all Bemüh´n um den Verlor´nen;
Als ich mit Drohen nun in Elsa drang,
Da ließ in bleichem Zagen und Erbeben
Der gräßlichen Schuld Bekenntniß sie uns sehn.
Es faßte mich Entsetzen vor der Magd:
Dem Recht auf ihre Hand, vom Vater mir
Verlieh´n entsagt´ ich willig und gern,-
Und nahm ein Weib, das meinem Sinn gefiel
Ortrud, Radbold´s, des Friesenfürsten, Sproß."

Er stellt Ortrud dem König vor: in ihrem kalten höhnischen Lächeln, in der hochmütigen Haltung und in dem verstellt demütigen Blick vermögen wir schon die finstere, ehrgeizige Seele erkennen. Friedrich fährt fort:

"Nun führ´ ich Klage gegen Elsa von
Brabant: des Brudermordes zeih ich sie.
Dies Land doch sprech´ ich für mich an mit Recht,
Da ich der Nächste von des Herzogs Blut,
Mein Weib jedoch aus dem Geschlecht, das einst
Auch diesem Lande seine Fürsten gab.-
Du hörst die Klage, König, richte recht!"

Die Männern schaudern bei der Klage; der Kaiser schweigt. Da fällt Friedrich in noch heftigeren Ton:

"O Herr! trauselig ist die eitle Magd,
Die meine Hand voll Hochmuth von sich stieß:
Geheimer Buhlschaft klag´ ich sie drum an:
Sie wähnte wol, wenn sie des Bruders ledig,
Dann könnte sie als Herrin von Braband
Mit Recht dem Lehnsmann ihre Hand verwehren,
Und offen des geheimen Buhlen pflegen."

Der König läßt die Beklagte rufen. Kaum ist der Ruf ergangen, so tritt eine Melodie von wunderbarer Sanftmuth und von kaum fühlbarem Rhythmus, wie eine Trübsal ohne Hülfe, an die Stelle der wilden Klänge und zeigt uns schon, wie so sehr rein, keusch und heilig dieses schöne Mädchen ist, die "des Brudermordes", "geheimer Buhlschaft" und verbrecherischen Ehrgeizes angeklagt wird. Sie schreitet vor, weiß gekleidet, umwallt von langem schwarzen Flor, schweigsam, verschämt und beängstigt von all den Dingen, die sie umgeben. Der Kaiser fragt, ob sie ihn als ihren Richter anerkenne? Sei bejaht, nachdem sie ihm vertrauensvoll ins Auge geblickt hat, durch eine Bewegung des Hauptes. Er fragt weiter, ob sie die Klage kenne, die hier schwer wider sie erhoben? Elsa erblickt Friedrich, wendet traurig das Haupt, und bejaht, wie vorher. Der Kaiser: was entgegnest Du der Klage? - Elsa, durch eine stumme Gebehrde: Nichts. - Der Contrast zwischen den schrecklichen Verbrechen, die Friedrich genannt hatte, mit der jungfräulichen Sanftmuth der Fürstin läßt den Umstehenden Unsicherheit auf die Entrüstung folgen. - Der Kaiser fragt wieder: so bekennst Du Deine Schuld? - Elsa antwortet nicht, sondern seufzt nur vor sich hin: "o mein armer Bruder!" Nach einem langen Schweigen fordert der Kaiser sie freundlich auf, sich zu vertheidigen. Sie versinkt in schwermüthigen Träumerei und beginnt:

"Einsam in trüben Tagen
Hab´ ich zu Gott gefleht,
Des Herzens tiefste Klagen
Ergoß ich im Gebet.
Da drang aus meinem Stöhnen
Ein Laut so klagevoll,
Der zu gewalt´gem Tönen
Weit in die Lüfte schwoll.
Ich hört´ ihn fernhin hallen,
Bis kaum mein Ohr ihn traf,
Mein Aug´ ist zugefallen,
Ich sank in süßem Schlaf."

Man staunt über ihr Gebaren. Der Kaiser erinnert sie an ihre Vertheidigung. Da nehmen die Violinen in höchster Höhe und im Pianissimo das Gralsmotiv der Einleitung auf: schwärmerische Verklärung leuchtet aus Elsa´s Zügen und sie fährt fort:

"In lichter Waffen Scheine
Ein Ritter nahte da,
So tugendlicher Reine
Ich keinen noch ersah.
Ein golden Horn zu Hüften,
Gelehnt auf sein Schwert,
So trat er aus den Lüften
Zu mir der Recke werth.
Mit züchtigem Gebahren
Gab Tröstung er mir ein:
Des Ritters will ich wahren,
Er soll mein Streiter sein."

Während diese Worte setzt das Orchester mit einer Melodie ein, die die Persönlichkeit Lohengrins bedeutet, da sie später jedesmal, wo er entscheidenden Antheil an der Handlung nimmt, wieder auftaucht. Von kriegerischem und sanftem Charakter, scheint sie der Ausdruck einer Ueberlegenheit, verbunden mit Großmuth im Siege, zu sein; die Hörner und Trompeten sind es, die sie am öftersten ausführen. Friedrich verhöhnt Elsa´s Vision:

"Ihr hört: sie schwärmt von einem Buhlen!"

und erbietet sich, seine Klage mit den Waffen in der Hand zu vertreten. Doch keiner der Edlen will seinen Zorn auf sich laden, noch glauben sie fest genug an Elsa´ Unschuld, um ihre Vertheidigung zu übernehmen.

Indessen will der Kaiser, zaudernd und durch die widerstreitenden Anzeichen verwirrt, daß ein Gottesgericht entscheide, auf welcher Seite das Recht sei. Das Volk begrüßt freudig diesen Befehl und die Blechinstrumente stimmen einen strengen und energischen Satz an, der sich von nun an immer einfindet, wenn das Gottesgericht angerufen wird. Friedrich und Elsa nehmen den Beschluß des Kaisers an, und als dieser fragt, wen sie zu ihrem Kämpfer wähle, nimmt sie ihren unterbrochenen Ton wieder auf:

. . . "Des Ritters will ich wahren,
Er soll mein Streiter sein.
Hört, was dem Gottgesandten
Ich biete für Gewähr:
In meines Vaters Landen
Die Krone trage er.
Mich glücklich soll ich preisen,
Nimmt er mein Gut dahin:
Will er Gemal mich heißen,
Geb´ ich ihm, was ich bin."

Der Herold läßt nach den vier Weltgegenden den Trompetenruf ergehen. Niemand erscheint. Elsa tritt näher zum Kaiser:

"Mein lieber König, laß Dich bitten,
Noch einen Ruf an meinen Ritter:
Wohl weilt er fern, und hört ihn nicht."

Die Seufzer, die sie in ihrem Busen unterdrückt, machen sich auf herzzerreißende Weise in der Begleitung Luft. Der Ruf wird wiederholt. Nämliches Schweigen. Das Volk beginnt zu glauben, daß die Verlassene des Gottesschützes nicht würdig sei. Außer sich, verzweifelnd, sinkt sie in die Kniee und betet:

"Du trugst zu ihm meine Klage,
Zu mir trat er auf Dein Gebot:
Ach Herr! Nun meinem Ritter sage,
Daß er mir helf´ in meiner Noth!
Laß mich ihn sehn, wie ich ihn sah,
Wie ich ihn sah, sei er mir nah!"

Diesen Worten folgt der Eintritt dreier Trompeten im Pianissimo, die die Phrase wiederholen, die wir schon als Bezeichnung der Person Lohengrins erwähnt haben, - und plötzlich gewahrt man in der Ferne, auf den Fluten der Schelde einen Schwan, der einen Nachen herbeizieht. Der Ritter, wie Elsa ihn beschrieben, steht hoch aufgerichtet drin. Auf dieses letztere Motiv ruft der Chor der Umstehenden:

"Seht! Seht! Welch seltsam Wunder! Wie? Ein Schwan,
Ein Schwan zieht einen Nachen dort heran! -
Ein Ritter drin hoch aufgerichtet steht; -
Wie glänzt sein Waffenschmuck! das Aug´ vergeht
Vor solchem Licht! - Seht! Näher kommt er an,
An einer gold´nen Kette zieht der Schwan!"

- In dem Maße, als der Nachen sich nähert, nimmt der Chor zu, und wächst, und wächst immer höher und erreicht einen Glanz von so schlagender Wirkung, daß es unmöglich wäre, sie nicht zu den ergreifendsten zu zählen, die die Musik je hervorgebracht. Wagner behandelt seine Chöre mit größter Sorgfalt. Die meisten sind ganz achtstimmig gehalten, und dieser, der nach unserm Gefühl der staunenswürdigste concipirte und am glücklichsten gesteigerte ist, zeichnet sich noch durch eine wahrhaft malerische Natürlichkeit aus, die durch die Art der Stimmenvertheilung erreicht ist. Das neugierige Staunen der Einen, der fromme und naive Glaube der Verwunderung bei den Anderen, der Schrecken der Einzelnen, die Ergriffenheit Aller drücken sich wie persönliche Ausrufe aus, und das Motiv, voller Glanz und Majestät, erlangt in dem Crescendo dieser ungeheuren Entwicklung eine Macht, die diesem Augenblick vielleicht das hervorragendste Interesse im ganzen Stücke gibt. Die Allerkältesten und für dieses Musikgenre am schlechtesten Disponierten würden sich bei dieser Stelle hingerissen und begeistert fühlen.

 

Als die Barke am Ufer landet, wird im Orchester das Motiv der Einleitung in zwei Tacten angedeutet. Der Ritter setzt einen Fuß aufs Land und wendet sich zum Schwan:

"Nun sei bedankt, mein lieber Schwan!
Zieh durch die weite Flut zurück,
Dahin, woher mich trug dein Kahn,
Kehr´ wieder nur zu uns´rem Glück.
Drum sei getreu dein Dienst gethan!
Leb´ wohl! Leb´ wohl! Mein lieber Schwan!"

Diese Gesang, nur von einzeln hie und da einsetzenden Violinen begleitet, ist sanft, schwermüthig und doch schwungvoll. Die Töne sind so sichtbar von einem Heimweh nach Seligkeit erfüllt, daß man nicht zu wissen braucht, wer dieser geheimnißvolle Held ist, um zu ahnen, daß bei der Ankunft in diesem Lande heftiger Kämpfe, verfolgter Unschuld und triumphirenden Verbrechens er eine Welt voller strahlender Ruhe und heitern Ruhmes verlassen hat.

Die Musik besaß früher dieses Licht nicht, das die Maler und Dichter hervorzubringen so oft sich gemüht haben. Sie hatte noch nicht die reine Rührung, den heiligen Schmerz, der die Engel und höheren Wesen erfaßt, wenn sie vom Himmel verbannt und zu unserer traurigen Welt geschickt werden, um die göttliche Gnade in Thaten zu offenbaren. Wie glauben, daß sie jetzt die anderen Künste um Nichts mehr zu beneiden hat, denn unseres Wissens ist in keiner von ihnen diese Empfindung mit so ausgesuchter, so himmlischer Vollendung wiedergegeben worden, wie hier. Freilich hängt ein großer Theil der Wirkung von dem milden Timbre der Tenorstimme ab, die sich allein inmitten des tiefen, auf die unbeschreibliche Begeisterung des letzten Chores folgenden Schweigens erhebt, während die entzückend rauschenden Töne, die vorangingen, noch im Saale wiederhallen. Nichtsdestoweniger würde die Schönheit der Melodie, selbst wenn diese Stimme nicht so sammetartig milde und silbern wäre, als es zu wünschen sein möchte, immer noch eine überirdische Wirkung hervorbringen. - Der unbekannte Ritter schreitet vor und verkündet:

"Zum Kampf für eine Magd zu stehn,
Der schwerer Klage angethan,
Bin ich gesandt, nun laßt mich sehn,
Ob ich zu Recht sie treffe an! -
So sprich denn, Elsa von Brabant!
Wenn ich zum Streiter Dir ernannt,
Willst Du wohl ohne Bang´ und Grau´n
Dich meinem Schutze anvertrau´n?"

Während dieser Worte tritt das Motiv des Vorspiels wieder ein, wie um an Den zu erinnern, der ihn gesandt hat. Elsa, durch seine Ansprache erweckt, stürzt in überwältigendem wonnigem Gefühl zu seinen Füßen:

"Mein Held! Mein Retter! Nimm mich hin!
Dir geb´ ich Alles, was ich bin!"

Und Lohengrin, sie zu seinen Füßen lassend, fragt weiter:

"Wenn ich im Kampfe für Dich siege,
Willst Du, daß ich Dein Gatte sei?"

Hier kommt die Gralsmelodie wie ein leises Echo wieder, um vor dem Ende des Dramas, wo sie in voller Majestät erscheint, nicht mehr wiederholt werden. Wagner hat mit einer Feinheit der Farben, die man nicht ermüden kann in allen seinen Intentionen zu verfolgen, das göttliche Element, welches seinem Retter den Sieg versicherte, mit dem Charakter persönlicher Tapferkeit, der ihn uns theuer und zum Gegenstand der Bewunderung und Theilnahme macht, während er leicht zu einem kalten Sendling ohne eigenen Affect hätte werden können, zu verbinden gewußt. - Mit steigender Feierlichkeit fährt Lohengrin fort:

"Elsa, soll ich Dein Gatte heißen,
Soll Land und Leut´ ich schirmen Dir,
Soll Nichts mich wieder von Dir reißen,
Mußt Eines Du geloben mir:
            Nie sollst Du mich befragen,
            Noch Wissens Sorge tragen,
            Woher ich kam der Fahrt,

 

Es scheint ihr leicht, dies zu beschwören, und mit welch dringendem Eifer wiederholt sie den Schwur, als der Ritter seine Formel mit gebieterischer Strenge zum zweiten Mal ausspricht!

Dieses Verbot wird auf eine musikalische Phrase gesungen, die natürlicher Weise eine der wichtigsten der ganzen Oper ist, da das ganze dramatische Interesse auf das Geheimniß concentrirt ist, welches dieser Befehl verbirgt. Sie hat acht Tact Adagio, ist äußerst auffallend und leicht zu erkennen, selbst wenn nur das erste Glied von zwei Tacten allein auftritt. - Nachdem Elsa mit dem zärtlichen Vertrauen eines demüthigen Kindes zu einem mächtigen Beschützer ihren Schwur wiederholt hat, erhebt sie Lohengrin, hingerissen und selbst tief ergriffen von dem unsäglichen Reize ihrer Unschuld, und schließt sie in seine Arme: "Elsa! ich liebe Dich!" - diese so einfach Bewegung, die in Mitte so hoher Erregung sich kund gibt und unseren durch geheime Furcht gepeinigten Gefühlen einen so reizenden Ruhepunkt gönnt, gehört zu dem Rührendsten, was die großen Werke der berühmtesten dramatischen Dichter aufzuweisen haben. Der Kampf wird angeordnet. Der Herold verkündet ihn. Die Instrumente nehmen die rhythmische Phrase des Gottesgerichts auf, die während des Zweikampfs als Canon von den Blechinstrumenten, Violoncells und Bässen durchgeführt wird. Hier glaubt man fast die materielle Reproduction des Streites der Kämpfer zu fassen, - ein Umstand, der dieser Episode eine merkwürdige Eigenthümlichkeit verleiht. Bevor die Kämpfer sich messen, lassen sich Alle, auf des Kaisers Vorgang, zum Gebet an. Sie knieen und flehen die göttliche Gnade an, daß die Unschuld gerächt und der Schuldige erkannt werde. In diesem Augenblicke ist der Anblick der Scene wahrhaft imposant. Elsa, hingerissen, den Blick erhoben, schein den Himmel offen zu sehen, während zur andern Seite des in der Mitte der Gruppe vorgeschrittenen Kaisers man mit Staunen ein Haupt gewahrt, das die Frömmigkeit nicht gebeugt hat. Neben Friedrich, der sich zu einer Haltung von Zorn und unwillkürlichem Schauer neigt, den das Gemurmel der Freunde, die ihm rathen, den Kampf gegen einen so ungewöhnlichen Gegner zu weigern, noch vermehrt, steht eine junge Frau, deren Blicke von Haß glühen, und der beim Anblick des wunderbaren Schwans ein Schrei des Entsetzens entfahren war. Ortrud ist es, die sich nicht zum Gebet gebeugt hat; sie scheint vielmehr die religiöse Begeisterung der Anderen zu verhöhnen und ihre stolze Verachtung zieht die Aufmerksamkeit des Zuschauers auf sich, der in ihrem Gesicht einen Ausdruck erkennt, der himmelweit von dem aller Anderen verschieden ist.

Lohengrin bleibt Sieger. Das ihn bezeichnende Motiv, das längste von allen, denn es hat bald zwölf Tacte Adagio, bald 24 Allegro, erscheint mit Fanfaren wieder, und der Schlußchor modulirt ihn in jubelnder Freude vollständig, in einer höheren Lage. Elsa, gerettet, gereinigt vom Verdacht, wirft sich in die Arme ihres Beschützers und in dem schönen Ensemble, das folgt, zeichnen sich ihre Stimme und ihre schönen Verse fortwährend innerhalb der frohen Befriedung, der entzückten Verwunderung des Kaisers und der Menge aus, denen es widerstrebte, diese schöne Mädchen so abscheulicher Verbrechen für schuldig zu halten. Dazwischen tönt die ohnmächtige Wuth des besiegten und mit Schande bedeckten Friedrich, das grollende Staunen und die leidenschaftlichen Verwünschungen Ortrud´s, deren Gebehrden und Blick in einem fortwährenden stummen Spiel die Befürchtungen des Grafen zerstreut und ihn zum gottvergessenen Kampf bewogen hatten.

In der kurzen Instrumentaleinleitung des zweiten Actes begegnen sich zwei Motive. Das eine, zum Erstenmal erscheinende, ist eine jener Hauptphrasen, die wie Pulsadern durch das ganze Drama sich hindurchziehen. Die hier in Rede stehende bezeichnet den Charakter Ortrud´s und findet sich am öftersten abgebrochen oder, wie in dieser Einleitung, die sie vollständig gibt, von dem Motiv fortgesetzt, auf welches Lohengrin das unwiderrufliche Verbot ausgesprochen hat. Es erscheint wie das Gift menschlicher Bosheit im Kampf mit dem Geheimniß göttlicher Güte.

Gegenüber den Fenstern des Palastes, in welchem man den Vorabend der Hochzeit Elsa´s feiert, und von wo einzelne Klänge festlicher Musik herschallen, sitzen auf den Stufen des Münsters in tiefem Dunkel Friedrich und Ortrud, von ihren Würden und Gütern vertrieben, in die Reichsacht erklärt, ärmlich gekleidet, bereit, in die Verbannung zu gehen. Ortrud, niedergekauert, stützt ihr Kinn, auf die Knie und richtet den Blick unverwandt auf die Fenster des Palastes, um aus dem Schmerze dieses Schauspiels das Gift und die Erfindung der Rache zu saugen. Der Graf von Telramund, Spielball der falschen Wissenschaft seiner in der Zauberei geübten Gattin, wendet sich mit Haß und Verachtung gegen sie, entwirft ihr in einem herrlichen Gesang ein Bild der Schande, das ihn bedeckt, und schließt in wilder Verzweiflung:

"O hätt´ ich Tod erkoren,
Da ich so elend bin!
Mein´ Ehr´ hab´ ich verloren,
Mein´ Ehr´, mein´ Ehr´ ist hin!"

Ortrud bewahrt die Ueberlegenheit der Ruhe:

"Was macht Dich in so wilder Klage doch
Vergeh´n?
Friedrich:
Daß mir die Waffe selbst geraubt,
Mit der ich Dich erschlüg´!

Ortrud, mit ruhigem Hohn:
Friedreicher Graf
Von Telramund! Warum mistraust Du mir?

Friedrich:
Du fragst? War´s nicht Dein Zeugniß, Deine Kunde,
Die mich bestrickt, die Reine zu verklagen?
Die Du im düstren Wald zu Haus, logst Du
Mir nicht, von Deinem wilden Schlosse aus
Die Unthat habest Du verüben seh´n?
Mit eig´nem Aug´, rein Elsa selbst dem Bruder
Im Weiher dort ertränkt? - Umstricktest Du
Mein stolzes Herz durch die Weissagung nicht,
Bald würde Radbod´s alter Fürstenstamm
Von Neuem grünen und herrschen in Brabant?
Bewogst Du so mich nicht, von Elsa´s Hand,
Der Reinen, abzustehen, und Dich zum Weib
Zu nehmen, weil Du Radbold´s letzter Sproß?

Ortrud, leise:
Ha, wie tödtlich Du mich kränkst!
laut:
Dies Alles, ja, ich sagt´ und zeugt´ es Dir.

Friedrich:
Und machest mich, deß Name hochgeehrt,
Deß´ Leben aller höchsten Tugend Preis,
Zu Deiner Lüge schändlichem Genossen?

Ortrud, trotzig:
Wer log?

Friedrich:
Du! - hat nicht durch sein Gericht
Gott mich dafür geschlagen?". . .

Ortrud, in fürchterlichem Hohne:
"Gott?"

Friedrich weicht von Grausen gefaßt vor ihr zurück:
Entsetzlich!
Wer tönt aus Deinem Munde furchtbar der Name!

Ortrud:
Ha, nennst Dur Deine Feigheit Gott?

Friedrich:
Ortrud!

Ortrud:
Willst Du mir droh´n? mir, einem Weibe - droh´n?
O Feiger! hättest Du so furchtbar ihm
Gedroht, der jetzt Dich in das Elend schickt,
Wohl hättest Sieg für Schande Du erkauft.
Ha, wer ihm zu entgeg´nen wüßt´, der fänd´
Ihn schwächer, als ein Kind!

Friedrich:
Je schwächer er,
Desto gewalt´ger kämpfte Gottes Kraft.

Ortrud:
Gottes Kraft? Ha! ha! - nur einen Tag
Gib hier mir Macht, und sicher zeig´ ich Dir,
Welch´ schwacher Gott es ist, der ihn beschützt.

Friedrich, von heimlichem Schauer erbebend:
Du wilde Seherin! Wie willst Du doch
Geheimnißvoll den Geist mir neu berücken?

Ortrud, auf den Palast deutend, wo es finster geworden ist:
Die Schwelger strecken sich zur üpp´gen Ruh´.
Setz´ Dich zur Seite mir! die Stund´ ist da.
Wo Dir mein Seherauge leuchte soll."

Während des Folgenden näherst sich Friedrich, wie unheimlich von ihr angezogen, Ortrud immer mehr und beugt sein Ohr tief zu ihr hinab. Das Motiv der Einleitung dieses Actes taucht wieder auf und wechselt mit der Phrase, auf die Lohengrin sein Verbot gesungen hat.

"Weiß Du, wer dieser Held, den hier
Ein Schwan gezogen an das Land?

Friedrich:
Nein!

Ortrud:
Was gäbst Du drum, es zu erfahren
Wenn ich Dir sag: ist er gezwungen
Zu künden, wie sein Nam und Art.
All seine Macht zu Ende ist,
Die müh´voll ihm ein Zauber leiht?

Friedrich:
Ha! Dann begriff ich sein Verbot!

Ortrud:
Nun hör! Niemand hat hier Gewalt
Ihm das Geheimiß zu entreißen,
Als die, der er so streng verbot,
Die Frage je an ihn zu thun.

Friedrich:
So gält es Elsa zu verleiten,
Daß sie die Frag´ ihm nicht erließ´?

Ortrud:
Ha, wie begreifst Du schnell und wohl!

Friedrich:
Doch wie soll das gelingen?

Ortrud:
Hör´!
Vor Allem gilt´s, von hinnen nicht
Zu flieh´n: drum schärfe Deinen Witz!
Gerechten Argwohn ihr zu wecken,
Tritt vor, klag´ ihn des Zaubers an,
Durch den er das Gericht getäuscht!

Friedrich, mit immer mehr belegter Wuth:
Ha! Trug und Zaubers List!

Ortrud:
Misglück´s,
So bleibt ein Mittel der Gewalt.

Friedrich:
Gewalt!

Ortrud:
Umsonst nicht bin ich in
Geheimsten Künsten tief erfahren;
Drum achte wohl, was dich Dir sage!
Jed´ Wesen, das durch Zauber stark,
Wird ihm des Leibes kleinstes Glied
Entrissen nur, muß sich alsbald
Ohnmächtig zeigen, wie es ist.

Friedrich:
Ha, sprächst Du wahr!

Ortrud:
O hättest Du
Im Kampfe nur einen Finger ihm,
Ja eines Fingers Glied entschlagen,
Der Held, - war in Deiner Macht!

Friedrich, außer sich:
Entsetzlich, ha! Was lässest Du mich hören?
Durch Gottes Arm geschlagen wähnt´ ich mich, -
Nun ließ durch Trug sich das Gericht bethören,
Durch Zaubers List verlor mein´ Ehre ich!
Doch meine Schande könnt´ ich rächen?
Bezeugen könnt´ ich meine Treu´?
Des Buhlen Trug, ich könnt´ ihn brechen,
Und meine Ehr´ gewänn ich neu? -
O Weib, das in der Nacht ich vor mir seh´!
Betrügst Du jetzt mich noch, denn weh Dir, weh!

Ortrud:
Ha, wie Du rasest! - ruhig und besonnen!
So lehr´ ich Dich der Rache süße Wonnen."

Wie soll man dem Leser die Betäubung schildern, die diese grelle Zusammenstellung des blutdürstigen Hauptwortes mit dem friedlichen Beisatz hervorbringt, wenn Beide mit dem, Jedem eigenthümlichen Ausdruck ausgesprochen wird. Dieser schneidende Gegensatz gibt dem Haß eine Färbung von so rauher, verletzender, wilder Wollust, daß man von diesen Klängen wie von der furchtbarsten Gotteslästerung betroffen wird. Sie scheinen Alles, was dem Menschen für heilig gilt, zu verhöhnen und sich vom Unglück und Verderbniß zu nähren. Ortrud, mit einer Weichheit und Zärtlichkeit, die einen starken Contrast mit den Verwünschungen bildet, die sie mit ihrem Mann ausgetauscht hat, zieht ihn heran zur Höhe des gesegneten Thores, das Zeuge diese Höllenscene ist, setzt ihn zu ihrer Seite und umschlingt ihn mit ihren Armen. So singen sie langsame, finstere, tödtlich ergreifende Racheworte in einem Unisono, welches, der obigen Phrase folgend, den schon gemachten Eindruck durch den Anblick befestigt, wie aus der Liebe ein Band des Hasses gemacht, und sein Fackel an der Hoffnung, eine Mitschuldige zu gewinnen, wieder entflammt wird.

Elsa erscheint auf ihrem Söller, und in einem Gesang voll unendlicher Süßheit drückt sie das Gefühl ihres Glückes aus.

"Euch Lüften, die mein Klagen
So traurig oft erfüllt,
Euch muß ich dankend sagen,
Wie sich mein Glück enthüllt.
Durch euch kam er gezogen,
Ihr lächeltet der Fahrt,
Auf wilden Meereswogen
Habt ihr ihn treu bewahrt.
Zu trock´nen meine Zähren
Hab´ ich euch oft gemüht.
Wollt Kühlung nun gewähren
Der Wang´ in Lieb´ erglühet!"

Ortrud heißt Friedrich sich entfernen; allein geblieben, gibt sie sich Elsa zu erkennen und fleht sie um ihr Mitleid an. Die edle Fürstin, betrübt über das Misgeschick ihrer Verfolgerin, will ihr Glück nicht von Feinden verwünscht wissen und kommt der treulosen Nebenbuhlerin selbst entgegen, um ihr eine Zuflucht in ihrem Hause anzubieten.

Während sie herabkommt, - da ruft Ortrud, die Heidin, in einem wilden Siegesgeschrei, wie von Raserei befallen, in einem Tone, der würdig der Horden wäre, die sich in Blut berauschten, - wie eine Priesterin, die gewohnt ist, das Messer in den Busen zu opfernder Menschen zu stoßen, die Götter an, die von ihren ehemaligen Anbetern verleugnet werden, und schließt:

"Wodan! Dich Starken rufe ich an!
Freia! Erhab´ne, höre mich!
Segnet mir Trug und Heuchelei
Daß glücklich meine Rache sei!"

Soviel Leidenschaft, soviel Zorn und Galle athmet ihre Seele aus, daß das ganze Pandämonion sich mit Wonne in diesen Wuthstrom tauchen könnte. Scheinheilig vor Elsa sich beugend empfängt sie ihre Gaben und fromme Gastfreundschaft mit erheuchelter Dankbarkeit, und fügt hinzu, daß - unfähig soviel Wohlthaten zu belohnen, sie nur einen Schatz besitze, ihre Dankbarkeit zu bezeugen.

"Nur eine Kraft ist mir gegeben,
Sie raubte mir keine Machtgebot,
Durch sie vielleicht schütz ich Dein Leben,
Bewahr´ es vor der Reue Noth."

- und gleich offenbart uns die Musik die Absicht der haßerfüllten Zauberin, indem sie auf das Motiv der vorhergegangenen Scene die Phrase der verbotenen Frage folgen läßt. "Wie meinst Du?" fragt Elsa, die Nichts Ahnende. "Wohl daß ich Dich warne" - fährt Ortrud fort,

"Zu blind nicht Deinem Glück zu trau´n;
Daß nicht ein Unheil Dich umgarne,
Laß mich für Dich zur Zukunft schau´n.

Elsa:
Welch´ Unheil?

Ortrud:
Könntest Du erfassen,
Wie dessen Art so wundersam,
Der nie Dich möge so verlassen,
Wie er durch Zauber zu Dir kam!"

Elsa zuckt erbebend und voll Abscheu über diese niedrige Anmuthung vor Ortrud zurück, und wendet sich ihr dann zögernd, mit mitleidvoller Trauer zu:

"Du, Aermste, kannst wol nie ermessen,
Wie zweifellos mein Herze liebt!
Du hast wol nie das Glück besessen,
Das sich uns nur durch Glauben gibt.
Kehr´ bei mir ein! Laß mich Dich lehren,
Wie süß die Wonne reinster Treu´!
Laß zu dem Glauben Dich bekehren:
Es gibt ein Glück, das ohne Reu´!"

Ortrud hat nun die Schwelle der Thür überschritten, die das Mitleid der Unwürdigen erschlossen. Schweigen der Nacht hatte geherrscht: bei dem nun anbrechenden ersten Morgengrauen ertönt vom Thurme herab der Ruf der Wächter; der nächstfolgende Posten antwortet wie ein Echo in der Ferne. Die kurze rhythmische Phrase wird vom Orchester aufgenommen und auf dem Orgelpunkt D, den die Bässe und Celli aushalten, während 30 Tacten anfangs von Fagotten und Hörnern allein, dann von allen nach und nach eintretenden Blasinstrumenten weiter fortgesponnen, - ein mächtig sich belebendes Crescendo, das dem Tagesanbruch vollkommen entspricht. Unterdessen öffnet man die Thore der Stadt, Bürger und Reißige gehen aus und ein, begegnen und kreuzen sich auf dem Platze in stets wachsender Anzahl. Knechte kommen aus dem Palast; die Bewegung nimmt mit jedem Augenblicke zu. - Als endlich Alles auf den Füßen ist, erscheint der Herold des Königs und die Phrase der Trompeten, die den Tagesanbruch verkündete und in der bis dahin moduliert worden war, mündet prächtig und glänzend in die Fanfaren, die stets beim Auftreten oder bei der Erwähnung des Kaisers ertönen. Der Herold tritt vor und bringt im Namen des Kaisers Kunde von der Aechtung Telramund´s und der Vermählung Elsa´s mit dem fremden gottgesandten Helden, den der König mit Land und Krone von Brabant belehnt habe.

"Doch will der Held nicht Herzog genannt:
Ich sollt ihn heißen: Schützer von Brabant."

Jubelnd antwortet der Chor:

"Hoch der ersehnte Mann!
Heil ihm, den Gott gesandt!
Treu sind wir unterthan´
Dem Schützer von Brabant."

Ein Bruchstück der kriegerischen Melodie, mit der dem ritterlichen Auftreten Lohengrin´s im ersten Act zugejauchzt worden war, dient hier zur musikalischen Unterlage. In diesem Augenblick tritt Friedrich unter dem Volk hervor. Einige Freunde, die ihm im Unglück treu geblieben, entziehen ihn den Blicken des Volkes und verbergen ihn unter sich auf den Stufen des Münsters. Edelknaben kommen aus dem Palast herab und machen durch das Volk Platz für Elsa´ Kirchgang, die nun, geleitet von einem langen Zuge reichgekleideter Frauen, von dem Söllner ihrer Wohnung herab, feierlich dem Münster zuschreitet, um dort des Helden zu harren, dem sie vermählt werden soll. Dieser Zug bewegt sich nach einer Musik von langsamen und feierlichem Charakter, vortrefflich dem Vermählungsfeste, das vor sich gehen soll, angepaßt. Die Salbung, die in ihr herrscht, die fromme Rührung, die sie weckt, wird um so inniger empfunden, als dieser liebliche und feierliche bewegte Charakter durch den Contrast mit den vorausgegangenen lebhaften und rauschenden Klängen in ein besonderes Licht gesetzt wird.

In zarter, seliger Erregtheit schreitet die Fürstin vor, noch verschönert durch den Glanz ihrer Krone und ihres silberdurchwirkten Mantels. Das Orchester führt uns alle die liebenden und kindlich frommen Empfindungen ihres Herzens vor, ohne daß wir zu unterscheiden vermöchten, ob die ersteren oder die letzteren sie stärker bewegen. Die in reiner Liebesglut entbrannte Fürstin wagt es kaum, die Augen aufzuschlagen, aber man erräth aus den Tönen, die uns ihre innersten Empfindungen schildern, man erräth es aus ihrem majestätischen Anschwellen voll mystisch heiliger Inbrunst, welch strahlende und keusche Blicke diese Wimpern verschleiern.

Wie sollte man nicht die ergiebigen Mittel bewundern, über welche der dichterische Musiker zu verfügen hat, wenn man eine so ergreifende Wirkung aus ihrer abwechselnden Vertheilung in der Weise hervorgehen sieht, daß da die Musik Seelenzustände enthüllt, wo der Wortausdruck zu ihrer Mittheilung nicht hinreicht, und da wiederum das Wort mit einer Klarheit, Schärfe und Bestimmtheit zeichnet, wo die Tonsprache für einen verständlichen Ausdruck sich unvermögend erweist!

Unter den Edelfrauen in Elsa´s Gefolge schreitet eine daher, die am reichsten geschmückt erscheint und deren gewaltsam verzerrte Züge, fieberhaft zitternder Tritt eine mit Mühe unterdrückte Empörungslust verrathen: es ist Ortrud, die einzeln einhergeht und sich von der Reihenordnung des Zuges absondert. Kaum nähert sich die Braut den Stufen des Münsters, so stürzt sich ihr Ortrud wüthend in den Weg und ruft mit beleidigendem Hochgelächter:

"Zurück, Elsa! - Nicht länger will ichs dulden,
Daß ich gleich einer Magd Dir folgen soll:
Den Vortritt sollst Dur überall mir schulden,
Vor mir Dich beugen sollst Du, demuthvoll!

Die Edelknaben und die Männer:
Was will das Weib?

Elsa, heftig erschrocken:
Um Gott! was muß ich sehn?
Welch jäher Wechsel ist mit Dir geschehen?

Ortrud:
Weil eine Stund´ ich meines Werths vergessen,
Glaubst Du, ich müßte Dir nur kriechend nah´n?
Mein Leid zu rächen will ich mich vermessen,
Was mir gebürt, das will ich nun empfahn.

Elsa:
Weh! Ließ ich durch Dein Heucheln mich verleiten,
Die diese Nacht sich jammernd zu mir stahl?
Wie willst Du nun in Hochmuth vor mir schreiten,
Du, eines Gottgerichteten Gemahl?"

Ortrud´s tödtlich gekränkter Stolz vermag die Thränen der Wuth kaum zu unterdrücken:

"Wenn falsch Gericht mir den Gemahl verbannte,
War doch sein Nam´ im Lande hochgeehrt;
Als aller Tugend Preis man ihn nur nannte,
Gekannt, gefürchtet war sein tapf´res Schwert.
Der Deine, sag´ wer sollte ihr hier kennen?
Vermagst Du selbst den Namen nicht zu nennen?

Männer und Frauen, in großer Bewegung:
Was sagt sie? Ha! Was thut sie kund?
Sie lästert! Wehret ihren Mund!

Ortrud:
Kannst Du ihn nennen? Kannst Du uns es sagen,
Ob sein Geschlecht, sein Adel wohlbewährt?
Woher die Fluthen ihn zu Dir getragen,
Wann und wohin er wieder von Dir fährt?
Ha, nein! Wol brächte ihm es schlimme Noth,
Der kluge Held die Frage drum verbot!

Männer und Frauen:
Ha, spricht sie wahr? Welch schwere Klagen! -
Sie schmäht ihn, darf sie es wagen?

Elsa, von großer Betroffenheit sich ermannend:
Ha, Lästerin! Ruchlose Frau!
Hör´, ob ich Antwort mir getau´.
So rein und edel ist sein Wesen,
So tugendreich der hehre Mann,
Daß nie des Unheils soll genesen,
Wer seiner Sendung zweifeln kann."

Alles jauchzet ihr zu; mit einem freudig stolzen Blick auf das Volk fährt sie fort:

"Hat nicht durch Gott im Kampfe geschlagen
Mein theurer Held den Gatten Dein?
Nun sollt nach Recht ihr Alle sagen:
Wer kann da nur der Reine sein?

Männer und Frauen:
Nur er, nur er, Dein Held allein!

Ortrud, den musikalischen Ausdruck Elsa´s, zum Theil, höhnisch nachahmend:
Ha diese Reine Deines Helden,
Wie wäre sie so bald getrübt,
Müßt er des Zaubers Wesen melden,
Durch den hier solche Macht er übt.
Wagst Du ihn nicht darum fragen,
So glauben alle wir mir Recht,
Du müsstest selbst in Sorge zargen,
Um seine Reine steh´ es schlecht!

Die Frauen, Elsa unterstützend:
Helfet ihr vor der Verruchten Haß!

Männer, nach dem Hintergrund:
Macht Platz! Macht Platz! Der König naht!"

Die schon bekannten Fanfaren verkünden den nahenden Zug. Die Männer empfangen mit begeistertem Zurufen den Kaiser und den Beschützer von Brabant, die staunend anhalten und fragen, wodurch der Kirchgang gestört werde? Lohengrin, der, wie die Wiederkehr der musikalischen Phrase aus der Scene zwischen Ortrud und Friedrich uns erkennen läßt, die Absicht der Ersteren durchschaut, tritt heftig aus sie zu:

"Du fürchterliches Weib! Steh´ ab von mir!
Hier wird Dir nimmer Sieg! - Sag, Elsa, mir:
Vermocht´ ihr Gift sie in Dein Herz zu gießen?

Elsa birgt weinend ihr Gesicht an seiner Brust.

Lohengrin:
Komm! Laß die Freude, dort die Thränen fließen!"

Als Lohengrin mit Elsa dem Zuge voran sich feierlich zum Münster wendet, tritt Friedrich auf den Stufen desselben unter den Frauen und Edelknaben hervor, welche, als sie ihn erkennen, entsetzt von ihm weichen.

Friedrich:
"O König! Trugbethörte Fürsten! Haltet ein!

Die Männer:
Was will der hier? Verfluchter, weich´ von hinnen!

König:
Wagst Du zu trotzen meinem Zorn?

Friedrich:
O hört
Mich an!

Die Männer:
Hinweg! Du bist des Todes, Mann!

Friedrich:
Hört mich, dem grimmes Unrecht ihr gethan.
Gottes Gericht, es ward entehrt, betrogen!
Durch eines Zaubrers List, seid ihr belogen!

Die Männer:
Greift den Verruchten! Er lästert Gott!"

Sie dringen auf ihn ein: vor Friedrich´s, von höchster Kraft der Verzweiflung erbebender Stimme halten sie erschreckt an, und hören endlich aufmerksam zu:
"Den dort im Glanz ich vor mir sehe,
Den klag´ ich des Betruges an!
Wie Staub vor Gottes Hauch verwehe
Die Macht, die er durch List gewann! -
Wie schlecht ihr des Gerichtes wahrtet,
Die doch die Ehre mir benahm,
Da eine Frag´ ihr ihm erspart,
Als er zum Gotteskampfe kam!
Die Frage nun sollt ihr nicht wehren,
Daß sie ihm jetzt von mir gestellt: -
Nach Namen, Heimat, Stand und Ehren
Frag ich ihn laut vor aller Welt."

Die musikalische Phrase des Gottesgerichts tritt hier in glänzender Strenge wieder auf. Alle Anwesenden sind in größter Betroffenheit. Friedrich fährt fort:

"Wer ist er, der an´s Land geschwommen,
Geführt von einem wilden Schwan?
Wem solche Zauberthiere frommen,
Deß Reinheit achte ich für Wahn.
Nun soll der Klag´ er Rede stehen:
Vermag er´s, so geschah mit Recht,
Wenn nicht, so sollet ihr ersehen,
Um seine Tugend steh´ es schlecht!

Der König und die Männer:
Welch harte Klage! Was wird er entgegnen?

Lohengrin:
Nicht Dir, der so vergaß die Ehren,
Hab´ Noth ich, Rede hier zu stehn!
Des Bösen Zweifel darf ich wehren,
Vom ihm wird Reine nicht vergehn.

Friedrich:
Darf ich ihm nicht als würdig gelten,
Dich ruf ich an, König, hoch geehrt!
Wird er auch Dich unadlig schelten,
Daß er die Frage Dir verwehrt?

Lohengrin:
Ja selbst dem König darf ich wehren,
Und aller Fürsten höchstem Rath!
Nicht darf sie Zweifelslast beschweren,
Sie sahen meine gute That. -
Nur Eine ist´s - der muß ich Antwort geben:
Elsa -"

Als er sich zu Elsa wendet, hält er betroffen an, da er sie mit heftig wogender Brust, in wildem innern Kampfe, vor sich hinstarrend, erblickt.

"Elsa! Wie seh´ ich sie erbeben! -
In wildem Brüten muß ich sie gewahren!
Hat sie bethört des Hasses Lügenmund?
O Himmel schirme sie vor den Gefahren!
Nie werde Zweifel dieser Reinen kund!

Friedrich und Ortrud:
In wildem Brüten darf ich sie gewahren,
Der Zweifel keimt in ihres Herzens Grund; -
Der mir zur Noth in dieses Land gefahren,
Er ist besiegt, wird ihm die Frage kund!

Der König und die Männer:
Welch ein Geheimniß muß der Held gewahren?
Bring es ihm Noth, so wahr´es treu sein Mund!
Wir schirmen ihn, den Edlen, vor Gefahren;
Durch seine That ward uns sein Adel kund.

Elsa:
Was er verbirgt, wol brächt´ es ihm Gefahren,
Vor aller Welt spräch hier es aus sein Mund: -
Die er errettet, weh mir Undankbaren!
Verrieth ich ihn, daß hier es werde kund. -
Wüßt ich sein Loos, ich wollt es treu bewahren:
Im Zweifel doch erbebt des Herzens Grund."

In diesen Ensemble taucht die Melodie der verbotenen Frage auf, und die Ortrud bezeichnende Phrase schließt sich ihr an. Beide Motive scheinen mit einander zu kämpfen. Die Männer, auf des Kaisers treuherzige Ansprache, unterstützen Lohengrin, der Allen in die dargereichte Hand schlägt; während dessen tritt Friedrich unbeachtet dicht zu Elsa heran, die voll Unruhe noch Einsam im Vordergrunde steht:

"Vertraue mir! Laß Dir ein Mittel heißen,
Das Dir Gewißheit schaffet.

Elsa, erschrocken, doch leise:
Hinweg von mir!

Friedrich:
Laß mich das kleinste Glied ihm nur entreißen,
Des Fingers Spitze, und ich schwöre Dir:
Was er Dir hehlt, sollst frei Du vor Dir sehen, -
Dir treu, soll nie er Dir von hinnen gehn.

Elsa:
Ha, nimmermehr!"

Hier erst verschwinden die unheimlichen Töne, die in einer längeren Periode zur größten Heftigkeit emporgewogt waren. Als Friedrich sein Anerbieten mit leidenschaftlicher Heimlichkeit erneuert, tritt Lohengrin rasch in den Vordergrund

"Elsa, mit wem verkehrest du?"

Elsa wendet sich mit einem zweifelvoll schmerzlichen Blick von Friedrich ab und sinkt tief erschüttert zu Lohengrin´s Füßen. Dieser wendet sich mit fürchterlicher Stimme zu Friedrich und Ortrud:

"Zurück von ihr, Verfluchte!
Daß nie mein Auge je
Euch wieder bei ihr seh´!"

Friedrich macht eine Gebehrde der schmerzlichen Wuth; Lohengrin fährt fort:
"Elsa, erhebe Dich! - In Deiner Hand,
In Deiner Treu liegt alles Glückes Pfand: -
Läßt nicht des Zweifels Macht Dich ruh´n?
Willst Du die Frage an mich thun?

Elsa, in der heftigsten inneren Aufregung und Scham:
Mein Retter, der mir Heil gebracht!
Mein Held, in dem ich muß vergehn!
Hoch über alles Zweifels Macht,
. . . soll meine Liebe stehn!"

Sie sinkt an seine Brust. Die Orgel ertönt aus dem Münster; die Glocken läuten: da ruft Lohengrin in feierlicher Rührung:
"Heil Dir, Elsa! Nun laß vor Gott uns geh´n!

Die Männer und Frauen:
Seht! Seht! Er ist von Gott gesandt!
Heil ihm! Heil Elsa von Brabant!"

Während die sanften Klänge, die den Zug der Frauen bei ihrem Auftreten vor dem Streite begleitet haben, sich wieder vernehmen lassen, führt der Kaiser Lohengrin an der linken und Elsa an der rechten Hand die Stufen zum Münster hinauf: Elsa´s Blick fällt von der Höhe auf Ortrud herab, welche die Hand voll Ingrimm zu ihr emporstreckt: Trompeten lassen die Melodie der verbotenen Frage mächtig grollend, wie eine furchtbare Drohung erschallen; entsetzt wendet sich Elsa ab und schmiegt sich ängstlich an Lohengrin: als dieser sie weiter zum Münster begleitet, fällt der Vorhang.

Ein Instrumentalsatz, der das prächtige Rauschen des Hochzeitsfestes schildert, eröffnet den dritten Act. Man glaubt in ihm die Kampfspiele der Ritter mit ihren Turniersignalen und glänzenden Waffengängen zu erkennen, wie sie bestimmt sind, das Fest zu verschönern. - Mit dem Aufgehen des Vorhangs erblicken wir das reichgeschmückte Brautgemach der Neuvermählten. Ein Zug von Männern und Frauen, erster unter Vortritt des Kaisers, begleiten das Paar durch verschiedene Thüren herein und ihre Gesänge verbreiten sich in dem Raume wie Wolken von Weihrauch, Myrrhen und Ambra, in deren Duft sich ein Duo anspinnt, in welchem das seligste Entzücken, die überschwenglichste Hingebung, die unsäglichste Zärtlichkeit und heiligste Liebe in Melodienströmen von äolische Hauche ergießt. Wer möchte sagen, ob hier die Schönheiten des dichterischen oder musikalischen Ausdrucks höher anzuschlagen sind? Die Erhabenheit, Reinheit und stufenweise anschwellende Leidenschaft der Empfindungen, die sich darin folgen, können weder in Wort noch in Ton jemals übertroffen, ja selbst schwerlich auch nur je erreicht werden! . . . Nachdem die begleitenden Züge das Gemach verlassen haben, beginnt Lohengrin:
"Das süße Lied verhallt, wir sind allein,
Zum ersten Mal allein, seit wir uns sah´n;
Nun sollen wir der Welt entronnen sein,
Kein Lauscher darf des Herzens Grüßen nahn. -
Elsa, mein Weib! Du süße, reine Braut!
Ob glücklich Du, das sei mir jetzt vertraut?
Elsa:
Wie wär´ ich kalt, mich glücklich nur zu nennen" . . .

O selige Trunkenheit, überwältigende Macht der Liebe!

"Wie wär´ ich kalt, mich glücklich nur zu nennen,
Besitz´ ich aller Himmel Seligkeit!
Fühl´ ich zu Dir so süß mein Herz entbrennen,
Athme ich Wonnen, die nur Gott verleiht!
Lohengrind:
Vermagst Du, Holde, glücklich dich zu nennen,
Gibst Du auch mir des Himmels Seligkeit!
Fühl´ ich zur Dir so süß mein Herz entbrennen,
Athme ich Wonnen, die nur Gott verleiht! -
Wie sehr erkenn´ ich unsrer Liebe Wesen!
Sie nie sich sah´n, wir hatten uns geahnt,
War ich zu Deinem Streiter auserlesen,
Hat Liebe mir zu Dir den Weg gebahnt.
Dein Auge sagte mir Dich rein von Schuld,
Mich zwang Dein Blick, zu dienen Deiner Huld.

Elsa:
Doch ich zuvor schon hatte Dich gesehn,
In sel´gem Traume warst Du mir genaht."

und gleich geben die Flöten und Hoboen, sanft wie die Trompeten, im leisesten Echo nachahmend, das Lohengrin bezeichnende Motiv an, wo Elsa ihre Vision schilderte . . .
"Als ich nun wachend Dich sah vor mir stehn,
Erkannt´ ich, daß Du kamst auf Gottes Rath,
Da wollte ich vor Deinem Blick zerfließen,
Gleich einem Bach umwinden Deinen Schritt,
Als eine Blume, duftend auf den Wiesen,
Wollt´ ich entzückt mich beugen Deinem Tritt.
Ist dies nur Liebe? - Wie soll ich es nennen,
Dies Wort, so unaussprechlich wonnevoll,
Wie ach! Dein Name, den ich nie darf kennen,
Bei dem ich nie mein Höchstes nennen soll!"

Die weibliche Verschlagenheit dringt schon in diese Erwähnung des Geheimnisses, das die junge Braut beunruhigt, durch: die Neugier gibt schon dem unschuldigen Kinde eine ungewohnte Schlauheit. - "Elsa!" ruft Lohengrin in zärtlich vorwurfsvollem Tone, doch sie fährt fort:

"Wie süß mein Name Deinem Mund´ entgleitet!
Gönnst Du des Deinen holden Klang mir nicht?
Nur, wenn zur Liebesstille wir geleiten,
Sollst Du gestatten, daß mein Mund ihn spricht."

Umsonst will Lohengrin sie beschwichtigen, sie wiederholt ihre Bitten: da umschlingt er sie freundlich und deutet aus dem Fenster:

"Athmest Du nicht mit mir die süßen Düfte?
O wie so hold berauschen sie den Sinn!
Geheimnißvoll sie nahen durch die Lüfte, -
Fraglos geb´ ihrem Zauber ich mich hin. -
So ist der Zauber, der mich Dir verbunden,
Als ich zuerst, Du Süße, Dich ersah;
Nicht brauchte Deine Art ich zu erkunden,
Dich sah mein Aug´, mein Herz begriff Dich da
Wie mir die Düfte hold den Sinn berücken,
Nah´n sie mir gleich aus räthselvoller Nacht:
So mußte Deine Reine mich entzücken,
Traf ich Dich auch in schwerer Schuld Verdacht."

Dieser Satz ist unstreitig eine der schönsten Inspirationen Wagner´s , eine der glücklichsten, deren er sich zu rühmen gehabt, und deren er sich noch zu rühmen haben wird, einer seiner unzweifelhaftesten Rechtstitel auf den Nachruhm und den Rang, den ihm die Zukunft unter den großen Meistern der Tonkunst vorbehält. Elsa erwidert mit dem liebevollen Ehrgeiz, der den Stolz des Weibes ausmacht:

"Ach, könnt´ ich Deiner werth erscheinen!
Müßt´ ich nicht blos vor Dir vergeh´n!
Könnt´ ein Verdienst mich Dir vereinen,
Dürft ich in Pein für Dich mich sehn!"

Nun will sie im Glauben, er habe bei Erkenntniß seines Namens und Wesens Gefahr zu befürchten, seine stolze Mitwisserin sein. Immer näher rückt sie dem Ziele, das ihre angstvolle Neugier fesselt. Umsonst sucht Lohengrin sie zu trösten: mit jedem Worte rückt sie dem Abgrund einen Schritt näher, bis sie endlich in die Worte ausbricht:

"Meiner Treue
Enthülle Deines Adels Werth!
Woher Du kommst, sag ohne Reue, -
Durch mich sei Schweigens Kraft bewährt!"

In ernst strengem Tone entgegnet Lohengrin:

"Höchstes Vertrau´n hast Du mir schon zu danken,
Da Deinem Schwur ich Glauben gern gewährt:
Wirst nimmer Du von dem Gebote wanken,
Hoch über alle Frau´n dünkst Du mich werth!" -

Und mit der Zärtlichkeit des entrücktesten Liebenden sucht er den Vorwurf zu versüßen. Er überhäuft sie mit Liebkosungen und preist das Glück, das sie ihm gewähren soll: denn ihr Lieben muß ihm hoch entgelten für das, was er um sie verließ:

"Kein Loos in Gottes weiten Welten
Wol edler, als das meine hieß.
Böt´ mir der König seine Krone,
Ich dürfte sie mit Recht verschmähn.
Das Einz´ge, was mein Opfer lohne,
Muß ich in Deiner Lieb´ erseh´n!"

Doch statt mit diesem stolzen Bewußtsein sich zu begnügen, geräth sie nur in immer wildere Angst; der Gesang ihrer Stimme verliert sich endlich mit höchster Leidenschaft in das Motiv, das Ortrud begleitete.

"Wie soll ich, Aermste, glauben,
Dir g´nüge meine Treu´?
Ein Tag wird mir Dich rauben
Durch Deiner Liebe Reu´."

Immer wirkungsloser werden Lohengrin´s besänftigende Worte, immer erregter die Angst Elsa´s. - Plötzlich schrickt sie zusammen und lauscht: -

"Hörtest Du Nichts? Vernahmest Du kein Kommen?"

Voll Mitleid will Lohengrin sie zur Besinnung bringen, doch sie starrt wild vor sich hin: - uns durchzuckt die Ahnung, als glaube sie Friedrich´ Tritte vernommen zu haben. Sie wendet ihr lauschendes Ohr ab: -

"Auch nein! - - Doch dort! Der Schwan! Der Schwan!
Dort kommt er auf der Wasserflut geschwommen . . .
Du rufest ihm, - er zieht herbei den Kahn.

Lohengrin:
Elsa! Halt ein! Beruh´ge Deinen Wahn!

Elsa:
Nichts kann mir Ruhe geben,
Dem Wahn mich Nichts entreißt,
Als - gelt´ es auch Leben! -
Zu wissen, - wer Du seist!

Lohengrin:
Elsa, was willst Du wagen?"

Langsam und drohend ertönt das Motiv der verbotenen Frage, doch vollkommen außer sich, weiß Elsa sich nicht mehr zu halten; ihres Schwures vergessend, ihrer Sinne nicht mächtig, zu vollstem Wahnsinn erregt, entgegnet sie:

"Unselig holder Mann!
Hör´, was ich Dich muß fragen:
Den Namen sag´ mir an!

Lohengrin:
Halt ein!

Elsa:
Woher die Fahrt?

Lohengrin:
Weh Dir!

Elsa:
Wie Deine Art?

Lohengrin:
Weh uns! Was thatest Du!" -

In diesem Augenblick bricht Friedrich durch eine geheime Thür mir vier Genossen herein und zückt das Schwert auf Lohengrin. Elsa, wie plötzlich erwacht, erschrickt über ihr Vergehen, das sie sogleich durch eine Gebehrde des Entsetzens und Abscheus gegen den Verräther abschwört, der auf ihre weibliche Ungeduld und liebevolle Angst seinen schändlichen Plan gebaut hatte. Blitzeschnell reicht sie dem Gemahl das abgelegte Schwert; dieser streckt Friedrich mit einem Streiche todt zu Boden. Nach einer langen Pause ertönt das Motiv, das jene Ränke bezeichnet, und schleppt sich im Orchester wie ein ersterbender Fluch dahin. Die Genossen Friedrich´s nehmen auf den Befehl Lohengrin´s, den er an die entsetzt zu seinen Füßen Gefallenen richtet:

"Tragt den Erschlag´nen vor des Königs Gericht."

- wobei die Phrase des Zweikampfes ins Gedächtniß zurückgerufen wird - die Leiche auf ihre Arme, und entfernen sich. Lohengrin läßt die Frauen Elsa´s, die ohnmächtig zusammengesunken ist, eintreten:

"Sie soll vor den König zu geleiten,
Schmückt Elsa meine süße Frau.
Dort will ich Antwort ihr bereiten,
Daß sie des Gatten Art erschau´."

Die zweite Hälfte der Phrase des Verbots wird wieder gehört. Während Lohengrin, in traurig feierlicher Haltung abgeht, geleiten die Frauen Elsa, die ihrer kaum mächtig ist, zur andern Seite hinaus. Ein zusammenfallender Vorhang schließt die Scene. Wie aus dem Burghofe herauf, hört man Heerhörner einen Aufruf blasen, der mit geheimnißvoller Majestät, fast wie ein Ruf zum jüngsten Gerichte erscheinend, nur aus dem nackten Gralsmotiv besteht.

Wenn die Bühne wieder sichtbar wird, stellt sie Aue am Ufer der Schelde, wie im ersten Act, dar. Morgenröthe und endlich voller Tag. Der brabantische Heerbann zieht herbei und stellt sich in Ordnung. Eine rauschende Kriegsmusik wird auf der Bühne ausgeführt, zu der acht Trompeten, in D, Es, E und F gestimmt, verwendet werden. Zu zweien, und zwar gleichgestimmten zusammen, treten sie nach und nach ein, während das ganze Streichquintett im Einklang eine Baßfigur durchführt, die den Tumult der trabenden Rosse deckt und musikalische wiedergibt. Sie währt ohne Unterbrechung in Achteltriolen über hundert Tacte lang, bis zum Eintritt der vier Trompeten des Kaisers, die hier, wie immer, ihre schon bekannte Fanfare ertönen lassen. Dies Mal wird sie von den Trompeten der Grafen begrüßt, die in wachsender Bewegung nach und nach alle zusammen ertönen. Die Belebung und Steigerung ihrer Rhythmen bringt eine Art Zuruf und Hurrah hervor; ein längerer Trommelwirbel macht den Kriegslärm noch betäubender. Endlich als der Kaiser unter der Eiche Platz nimmt, wird es still. Nach einer auf den Krieg bezüglichen Ansprache, fragt er nach Lohengrin. Da bringen die vier Edlen Friedrich´ Leiche, verhüllt auf einer Bahre. Auch Elsa tritt mit ihren Frauen auf und wird vom erstauntem Volk mit Jubel begrüßt. Sie geht wankenden Schrittes einher. "Wie ist ihr Anlitz trüb und bleiche!" Das Motiv des Verbotes wird hier zum letzten Mal wiederholt: das Geheimniß soll offenbar werden. Die Rufe des begeisterten Volkes erscheinen dabei wie ein mahnendes Wort, daß Elsa´s ganze Tugend in ihrem Glauben bestanden hatte. Die unheilkündende Phrase des zweiten Actes schließt sich wieder, ebenfalls zum letzten Male, an: Ortrud´s zähneknirschende Wuth hat das Werk der Bosheit vollbracht, Elsa´s Glück ist unwiederbringlich verloren. - Die Trompeten decken diese düstere Stimmung, indem sie auf das Lohengrin-Motiv anstimmen. Lohengrin tritt bewaffnet wie im ersten Act, ohne Gefolge, traurig und feierlich auf. Der König und die versammelten Scharen empfangen ihn mit der Hoffnung, daß er sie in den Kampfe führen werde. Doch ernst und streng tritt er vor und verkündet:

"Mein Herr und König, laß Dir melden:
Die ich berief, die kühnen Helden,
Zum Streite sie führen darf ich nicht!"

Größte Bestürzung gibt sich unter den Männern kund. Lohengrin fährt fort:

"Als Streitgenoß bin nicht ich hergekommen,
Als Kläger sei ich jetzt von euch vernommen! -
Zum Ersten klage laut ich vor euch Allen,
Und frag´ um Spruch nach Recht und Fug.
Da dieser Mann mich nächtens überfallen,
Sagt, ob ich ihn mit Recht erschlug?"

Er enthüllt Friedrich´s Leiche. Alle wenden sich mit Abscheu ab, und geben ihm Recht. Mit vernichtender Strenge fährt er fort:

"Zum Anderen aber sollt ihr Klage hören;
Denn aller Welt nun klag ich laut,
Daß zum Verrath an mir sich ließ bethören
Die Frau, die Gott mir angetraut."

Der allgemeinen Betroffenheit entgegnet er, daß er sein Geheimniß nun enthüllen müsse.

"So hört, ob ich an Adel euch nicht gleich!"

Er blickt in feierlicher Verklärung vor sich hin und beginnt:

"In einem fernem Land, unnahbar euren Schritten,
Liegt eine Burg, die Masalvat genannt.
Ein lichter Tempel stehet dort inmitten,
So kostbar, wie auf Erden nichts bekannt:
Drin ein Gefäß von wunderthät´gem Segen
Wird dort als höchstes Heiligthum bewacht;
Es ward, daß sein der Menschen reinste pflegen,
Herab von einer Engelsschar gebracht.
Alljährlich naht vom Himmel eine Taube,
Um neu zu stärken seine Wunderkraft:
Er heißt der Gral, und selig reinster Glaube
Ertheilt durch ihn sich seiner Ritterschaft.
Wer nun dem Gral zu dienen sich erkoren,
Den rüstet er mit überird´scher Macht;
An dem ist jedes Bösen Trug verloren,
Wer ihn ersieht, dem weicht des Todes Nacht.
Selbst wer von ihm in ferne Land´ entsendet,
Zum Streiter für der Tugend Recht ernannt,
Dem wird nicht seine heil´ge Kraft entwendet,
Bleibt als sein Ritter dort er unerkannt:
So hehrer Art doch ist des Grales Segen,
Enthüllt - muß er das Laien Auge flieh´n;
Des Ritters drum sollt Zweifel ihr nicht hegen,
Erkennt ihr ihn, dann muß er von euch ziehn. -
Nun hört, wie ich verbot´ner Frage lohne!
Vom Gral ward ich zu euch gesandt:
Mein Vater Parzival trägt seine Krone,
Sein Ritter ich, bin Lohengrin genannt."

Die feierliche Gemessenheit und der berauschende Wohllaut dieser Töne, die ganz vor dem in reichster Größe auftretenden Gralsmotiv beherrscht sind, betäubt die Sinne wie der nächtliche Duft eines in vollster Blüte stehenden Orangenhaines. Lohengrin scheint dabei seine Umgebung fast zu vergessen, die erst in stummer Rührung, endlich in feierlich kundgegebener Bewunderung die Enthüllung seines Geheimnisses erfährt. Wir können diesen Moment als den eigentlichen wurzelhaften Kern des Dramas bezeichnen, wie auch die Erzählung des Tannhäuser den innerlichen Charakter der Oper dieses Namen uns aufdeckt. Aber die eine ist finster wie die Nacht, dumpf wie die Verzweiflung, unruhig wie der Irrsinn, schmerzlich wie das Verbrechen, durchbohrend wie die Zerknirrschung, angsterfüllt wie die Reue. Alle Leiden des Herzens finden darin ihren Wiederhall: enttäuschte Hoffnungen, unsägliches Unglück, grausamer Hohn, bittere Lust. In der Erzählung des Lohengrin dagegen wird es immer mehr lichter, heller Tag. Eine erhabene Ruhe breitet sich über das Gemüth des Hörers, das von geheimnißvoller überirdischer Klarheit immer heller und wärmer bestrahlt wird. Wie ein Seufzer der Seligkeit hallt jeder Ton, wenn Lohengrin den Ort schildert, wo weder Unglück noch Schmerz, weder Tod noch Verderben Zutritt finden, wo die Heiligkeit berufen ist, die ganze Fülle unbeschreiblich himmlischen Glückes zu genießen, wo die Auserwählten von all den überirdischen Freuden genährt werden, die das Schauen Gottes gewährt. Die Schlußerzählung des Tannhäuser wird mit jedem Tacte düsterer, schneidender, herzzerreißender. Die Person des Unseligen, den der Bannfluch vernichtet hat, löst sich allmählig ganz in einen wüsten unermeßlichen Fluch, in eine furchtbare Gotteslästerung auf, wie deren in den dunklen Höhlen wol erschallen mögen, wo Millionen gleiche schluchzende Seufzer, Thränen und Flüche ohne Ende mit den seinen sich vermischen, und wo wollüstige Verführungen ihn hinlockten. In der Schlußerzählung Lohengrin´s aber tritt die Person des Helden immer erhabener hervor, wie die Umrisse eines glänzenden Körpers auf goldenem Grunde. -

Lohengrin´s Natur offenbart sich als übermenschlich, insofern er mit Waffen nicht zu besiegen und für Schwäche nicht zugänglich ist, als rein menschlich aber in der Empfindung des unsäglichen Schmerzes der Liebe. Nachdem er seine Pflicht als Ritter des Grals erfüllt, sein "Nam" und "Art" bekannt gemacht hat und sein Scheiden unwiderruflich verkündet hat, bricht endlich, als er die ihrer nicht mehr mächtige Elsa in die Arme schließt, der tiefe Schmerz des höheren Gotteskämpfers durch und macht sich in der rührendsten Zärtlichkeit Luft:

"O Elsa, was hast Du mir angethan?
Als meine Augen Dich zuerst ersah´n,
Zur Dir fühlt´ ich in Liebe mich entbrannt,
Und schnell hatt´ ich ein neues Glück erkannt:
Die höhre Macht, die Wunder meiner Art,
Die Kraft, die mein Geheimniß mir bewahrt,
Wollt´ ich dem Dienst des reinsten Herzen weihn: -
Was rissest Du mir mein Geheimniß ein?
Nun muß ich, ach! von Dir geschieden sein!" -

Alles umringt und bestürmt ihn, zu bleiben; schmerzlich reißt er sich los. Da verbreitet sich vom Hintergrunde her der Ruf: "der Schwan! der Schwan!" - Elsa stößt bei seinem Anblick einen Schrei des Entsetzens aus, Lohengrin geht zum Ufer:

"Schon sendet nach dem Säumigen der Gral."

Wehmüthig betrachtet er den Schwan:

"Ach! diese letzte, traurige Fahrt
Wie gern hätt´ ich sie Dir erspart!
In einem Jahr, wenn Deine Zeit
Im Dienste zu Ende sollte gehen, -
Dann durch des Grals Macht befreit
Wollt´ ich Dich anders wiedersehen!"

Sein Schmerz steigert sich zum herzzerreißendsten Ausdruck, als er Elsa zum letzten Mal küßt und ihr die Wiederkehr ihres todtgewähnten Bruders verkündet.

"Kommt er dann heim, wenn ich ihm fern im Leben,
Dies Horn, dies Schwert, den Ring sollst Du ihm geben:
Dies Horn soll in Gefahr ihm Hülfe schenken,
In wildem Kampfe dies Schwert ihm Sieg verleiht;
Doch bei dem Ringe soll er mein gedenken,
Der einsten Dich aus Schmach und Noth befreit."

Es herrscht in diesen letzten Tönen eine so tiefe, brennende Trauer neben der sanftesten Milde, daß Wagner, wie von seiner eignen Dichtung berauscht, diese untröstliche Herzergießung zweimal wiederholen läßt: - eine sehr vereinzelte Abweichung von seiner gewohnten musikalischen Deklamationsweise. Als Lohengrin sich zum Ufer begibt, tritt plötzlich Ortrud vor:

"Fahr´ heim! Fahr´ heim! Du stolzer Helde!
Daß jubelnd ich der Thörin melde,
Wer Dich gezogen in dem Kahn:
Das Kettlein hab ich wohl erkannt,
Mit dem das Kind ich schuf zum Schwan:
Das war der Erbe von Brabant!"

Ein Ausruf der Entrüstung geht durch alle Reihen. Ortrud wendet sich in jubelndem Hohne zu Elsa:

"Dank, daß den Ritter Du vertrieben!
Nun gibt der Schwan ihm Heimgeleit;
Der Held, wär´ länger er geblieben,
Den Bruder hätt´ er auch befreit!"

Alle:
Abscheulich Weib! Ha, welch Verbrechen!
Hast Du in frechem Hohn bekannt!

Ortrud:
Erfahrt wie sich die Götter rächen,
Von deren Gunst ihr euch gewandt!"

Bei diesem wilden Jubelgeschrei kniet Lohengrin am Ufer nieder; während seines stummen Gebetes ertönt das Gralsmotiv, zunächst in erhabenster Stärke, wie eine feierliche Anrufung, und verschwebt dann abnehmend bis zum leisesten Säuseln, wie zu geistigster Andacht sich verdichtend. Plötzlich senkt sich eine weiße Taube - die Gralstaube - herab. Lohengrin streift dem Schwan die Kette ab und hebt an seiner Stelle einen schönen Jüngling, Elsa´s Bruder, aus dem Wasser. Dieser verneigt sich vor dem König, während die Taube den Kahn an der Kette faßt und Lohengrin von dannen führt. Als Elsa aus den Armen ihres Bruders - bei dessen Entzauberung Ortrud mit einem Schrei zusammengesunken war - erhebt, erblickt sie Lohengrin bereits in der Ferne. Auf ihren Ruf: "Mein Gatte! Mein Gatte!" antwortet das Lohengrin bezeichnende Motiv in moll: man möchte sagen, der Geliebte sendet ihr den Ausdruck seines Schmerzes, der dem ihrigen gleich komme, nach. Während Elsa in den Armen ihres Bruders entseelt zu Boden singt, läßt das Orchester in große Ausprägung das erste Gralsmotiv wieder anlangen, mit welchem das Drama schließt.

Wir glauben durchaus nicht, mit dieser Inhaltsangabe das unermeßliche, ergreifende Interesse, das diese Drama erregt, erschöpfende wiedergegeben zu haben. Wie fein und fest sind die Umrisse dieses Gemäldes, wie reich und wohlthuend sein Colorit! Welch sinnreiche Anordnung der Hülfsmittel seiner Kunst hat der Dichter und Musik darin zur Erscheinung gebracht! - Vor Allem ist die Charakteristik der handelnden Personen musikalisch wie dichterisch auf bewundernswerthe Weise festgehalten. Lohengrin, der die erste Stell im Vordergrunde einnimmt, erscheint gebieterisch erst und freundlich mild, wie ein Legendenheiliger. Seine Strenge gegen die Geliebte nach ihrem Vergehen ist bei aller Schonung doch unerbittlich, seine Liebe aber mit all dem mannichfach schimmernden Prisma der unvergänglichen Seligkeit geschmückt, die er als Auserwählter genießt. Die Glückseligkeit schien bisher ein undankbares, interesseloses Thema zu sein: hier sehen wir jedoch diese entzückenvolle, einfache, gleichmäßige Stimmung als Grundlage eines der ergreifendsten Werke. Denn der schönste Theil der Partitur ist gewiß eben dieser Grundgedanke, den das Orchester zuerst in so ausgesucht feiner Instrumentirung entwickelt, und der jedesmal wiederkehrt, wenn die wunderbare Einwirkung des heiligen Grals zum Vorschein kommt, um uns einen Lichtblick auf das Paradies zu eröffnen, wo unseren Augen in blendendem Glanz der Strom himmlischer Liebe, überirdischer Begeisterung und unvergänglichen Ruhmes entgegenquillt.

Ortrud, weit entfernt, einer der Typen des gemeinen Neides und alltäglicher Bosheit zu sein, die die gewöhnliche Classe der weiblichen Theaterbösewichte ausmachen, scheint uns vielmehr bestimmt, eines Tages neben einer Lady Macbeth oder einer Margarethe von Anjou, ebenso wie Elsa neben der Milton´schen Eva oder der antiken Psyche dazustehen.

Desgleichen ist auch Friedrich von Telramund´s Rolle durchaus nicht den Anderen zu Liebe geopfert worden, wenn es auch auf den ersten Blick scheinen möchte, als habe er zu einer Nebenperson herabsinken müssen. Geblendet durch die Weissagungen, voll Vertrauen auf die geheimen Künste seiner Gattin ist er im Unglück von Reue und Gewissensqual zerrissen: er wußte nicht, daß er mit der Verpfändung seiner Ehre ein so gewagtes Spiel spielen würde. Um diese nun verlorene Ehre trauert er. Er glaubt an den Gott, den Ortrud verhöhnt, und nur dadurch, daß sie ihn von dem Gedanken an Gott entfernt und ihm den Gegner als bösen Zauberer darzustellen weiß, bewirkt sie, daß seine Rachsucht mit aller Heftigkeit und Unbändigkeit wieder ausbricht und sich in den verzweifeltsten Anstrengungen die ihm zugefügte Schmach zu rächen und das Ziel seiner ehrgeizigen Wünsche doch noch zu erreichen Luft macht.

Elsa, ein schwaches, liebeglühendes Herz, träumt, betet und liebt, und findet in diesem Träumen, Beten und Lieben die erhabensten Töne. Ihr Gesang ist wie der Hauch eines gemessenen magnetischen Athems, er verliert sich im Unendlichen und reicht an ein unfaßbares Ideal, wie im unermeßlichen Horizonte die blauen Luftwellen zum Himmel werden. Ihre Zusammenkunft mit Ortrud, die auf die gellenden Verwünschungen diese so wild energischen Weibes unmittelbar folgt, bietet uns in der Musik jenen Contrast, den unserm Auge die Bilder der heiligen Margaretha mit den feuchten Augen in ihrer krystallenen Reinheit und milden Anmuth, umgeben von zischenden Schlangen, die sie umstricken, gewähren.

Wenn vielleicht die Operncomponisten geneigt sein sollten, dem Buch des Lohengrin das des Tannhäuser oder fliegenden Holländer vorzuziehen, die, gleich poetisch in ihrer Handlung wie in der Schönheit der Verse, in Form und Inhalt sich vielleicht eher für die sogenannte "Inmusiksetzung" eignen mögen, so werden dagegen die Dichter den Lohengrin jedenfalls über alle früheren Werke Wagner´s stellen müssen. Denn diese poetische Leistung allein würde genügen, dem Autor einen hohen Rang unter den größten Dichtern zu verleihen. Nicht nur ist die Diction voll hohen Schwunges und genialer Erfindung, der Dialog fein durchdacht und geschickt ausgeführt, der Vers wohlklingend und der Ton jedem Charakter angemessen, sondern das ganz Drama trägt auch, durch die Nachahmung der altdeutschen Sprache, Verwendung alterthümlicher Redeweisen und häufigen Gebrauch jetzt wenn auch nicht aus dem Gedächtnisse, doch aus der Gewohnheit entschwundener Ausdrücke, ganz den eigenthümlichen Stempel der Zeit, in der es spielt. Der Eindruck, den wir dadurch empfangen, versetzt uns so sehr in die religiösen Empfindungen und Anschauungen jener Geschichtsperiode, daß wir uns wahrhaftig nicht wundern würden, wenn der mit lebhafterer und empfänglicherer Einbildungskraft ausgestattete Theil des Publikum beim Hinausgehen aus der Oper die feste Ueberzeugung von der Wirklichkeit des heiligen Grals, seines Tempels, seiner Ritter und deren überschwängliche Seligkeit mit sich nähme.

Was nun die Musik anbetrifft, so herrscht in ihr eine solche Einheit der Conception und des Styls, daß sie auch nicht eine melodische Phrase, noch weniger ein Ensemblestück oder irgend welchen musikalischen Satz enthält, der, vom Ganzen abgelöst, in seiner Eigenthümlichkeit und wahren Bedeutung verstanden werden könnte. Alles steht zu einander in engster Beziehung, Alles ist mit der Handlung organische verwachsen und kann, ohne seinen Sinn zu verlieren, nicht von ihr losgerissen werden. Es dürfte selbst schwierig sein, Bruchstücke, Auszüge dieses Ganzen verständig beurtheilen und richtig zu würdigen, da es nichts Mosaikartiges, Eingeschobenes, Uebergebautes und für sich selbst Bestehendes enthält, sondern im Gegentheil Alles sich an einander kettet und schließt, wie die Maschen eines Netzes, jede harmonische Ausweichung einen entsprechenden Gedanken in der Handlung zum Grunde hat und überhaupt eine echt deutsche Tiefe und systematische Strenge überall herrscht, sodaß man dieses Werk die bewußtvollste aller Inspirationen nennen kann.

Leicht ist dagegen, sich Rechenschaft zu geben, warum jede Einzelheit, getrennt von dem Uebrigen, ihren Hauptreiz verlieren müßte, wenn man das Princip bedenkt, nach welchem Wagner musikalische Ideen und Charaktere concipirt. Die Wiederholung der fünf Phrasen, deren sinnreichen Windungen wir zu folgen versucht haben, nämlich des Motivs des Grals, des Gottesgerichts, der Persönlichkeit Lohengrin´s, der verbotenen Frage und der finsteren Pläne Ortrud´s, sowie der weniger häufigen, aber stets wohlbegründeten Wiederkehr von Motiven untergeordneter Wichtigkeit gestattet natürlich nur dann den ganzen dramatischen Gedanken zu erfassen und die ergreifende Wirkung zu empfinden, welche aus ihrer bei aller Neuheit und Tiefe doch klaren und hellen, in allen ihren Wegen und Umwegen sich entsprechenden Verwicklungen entspringen muß, wenn man im Stande ist, alle die feinen Nüancen und verborgenen Intentionen wohl zu fassen, die nur erst in der Ausführung der Grundgedanken dieses unsterblichen Meisterwerkes ihre Entwicklung und Erklärung finden.

Es gibt Menschen, welche eine einzige Idee, eine einzige Erfindung oder eine dem Anschein nach vielleicht geringfügige Entdeckung eine ungeheure Umgestaltung in die betreffende Sphäre bringen, andere wiederum, welche weder durch Erkenntniß einer vorher unbekannten Thatsache, noch durch Einführung eines neuen Elementes in die Wissenschaft ihrer Vorgänger bereichern, aber durch eine bis dahin ungewohnte Anordnung des Alten, Bestehenden, das Gebiet der Arbeit ihrer Gedanken erweitern. Wagner ist ein Neuerer diese letzten Art. Sein System knüpft sich durch die hohe Wichtigkeit, welche er der Beredtsamkeit der dramatischen Declamation beilegt, an die Tradition Gluck´s, durch die beredte Declamation selbst aber und die feine Erfindung, die in seiner Instrumentierung herrscht, an die Weber´s. Wagner würde sicher die in der Widmung zur Alceste -  die wir in den Beilagen unter (*) mittheilen - ausgesprochenen Ansichten hervorgebracht haben, wenn es Gluck nicht schon gethan hätte.

Dabei geht aber Wagner in der practischen Anwendung diese Theorien über Gluck und Weber weit hinaus. Indem er sich mit kühnem Geistesfluge und seltenem Glück die Eroberungen und Fortschritte, die die Musik seit dem Tode diese beiden großen Meister gemacht hat, aneignet und alle die Hülfquelle ausbeutet, welche neuerfundene Instrumente ebensowohl, als deren geistvolle Anwendung, in der namentlich Berlioz und Meyerbeer sich ausgezeichnet haben, läßt er alle Mittel, die die neue Zeit dem Künstler zur Verfügung gestellt, an der Verfolgung seiner Zwecke Theil nehmen und sucht durch ein umfassenderes System, als das Gluck´sche war, durch folgerichtigeres und reineres Princip, als das Weber´s, die allgemeinen poetischen Empfindungen, denen jene beiden Meister den Gesang wie das Orchester dienstbar machen wollten, zur wirklichen Herrschaft zu bringen. So lange man nun kein Wagner´sches Werk gehört oder gesehen, so lange man noch nicht die geistvolle Arbeit bewundert und ihre scenische Wirkung empfunden hat, ist es schwer, sich eine richtige, treffende Vorstellung von dem Resultate zu machen, welches er durch die vollständige Verbindung der beiden Mittel, oder besser gesagt: der doppelten Strömung seines Gedankenausdruckes erreicht. Es gelingt Wagner, in demselben Augenblicke ebenso außerordentlich als Musik, wie als Dramatiker zu wirken.

Durch den vereinten Besitz diese beiden, meist nur getrennt zur Erscheinung kommenden Talente, bringt er es dahin, ein Zusammenspiel zu schaffen, das ebenso genial und vollendet in der riesigen Conception des Ganzen als in der Ausführung der einzelnen Theile ist. Frau von Stael´s Ausspruch: "die Musik sei eine Architektur der Töne" gibt uns hier Gelegenheit, die Structur der prächtigen Bauwerke Wagner´s einer architektonischen Ordnung an die Seite zu stellen, an der weder Anhänger noch Neider und Gegner die inneren Gesetze der organischen Structur ändern oder vertauschen können, ohne zugleich eine Vernichtung ihres Charakters oder Styls herbeizuführen.

- So wäre denn hiermit der Versuch gemacht, unseren Lesern ein Verständniß des Grundgedankens des Wagner´schen Systems zu eröffnen, welches die schon von Gluck ausgesprochenen Wünsche und Bestrebungen, eine wahrhaftige, naturgemäße Verbindung der Musik mit der Dichtkunst zu erzielen, bis auf das Spiel der Sänger ausdehnt, von denen er eine bedeutende künstlerische - nicht blos musikalische - Thätigkeit verlangt, indem er an vielen Stellen Nüancen des Orchesters auf eine stumme Gebehrde von ihrer Seite bezieht und ihre bloße Gegenwart in gewissen Scenen zu einem symphonischen Motiv verwendet, - es bleibt uns aber nun noch eine nicht weniger schwierige Aufgabe zu lösen übrig: nämlich ihnen einen Begriff von der Art und Weise der Wagner´schen Instrumentationskunst zu geben. Wir können hier natürlich nur einige besonders bedeutungsvolle Züge seines musikalischen Styls andeuten, wie z.B. die sehr hervorstechende Theilung, die er mit dem Orchester vornimmt, das er in drei Hauptgruppen: Saiten-, Rohr- und Blechinstrumente, auftreten läßt. Statt sie nach den herkömmlichen oder nach willkürlichen Regeln und Anforderungen zu theilen und zu verbinden, vereinigt und theilt er sie nach Familien, indem er mit großer Sorgfalt den Charakter ihrer Klangfarbe den Situationen des Dramas anpaßt. Diese Eintheilung gehört zu seinen am meisten ins Auge springen Neuerungen und macht sich beim ersten Ueberblick bemerklich. Wer sich mit den Folgen diese Eintheilung vertraut macht, den kann es nicht Wunder nehmen, wenn er aus der Selbstbiographie Wagner´s, die vor mehreren Jahren in der Zeitung für die elegante Welt veröffentlicht wurde, erfährt, daß Wagner auf den an sich drolligen Einfall kam, die erste Ouvertüre, die er als jugendlichen Versuch in Leipzig zur Aufführung brachte, zur Erleichterung des Verständnisses für den Musik, der sein Werk genauer studiren wollte, mit drei verschiedenen Tinten zu schreiben: die schwarze war die die Saiteninstrumente, die rote für die Rohrinstrumente und die grüne für das Blech bestimmt. Die Verfolgung dieses Klangparallelismus mußte Wagner nothwendig darauf bringen in seiner Orchestration Instrumente mit einander zu verschmelzen, die gewöhnlich einzeln angewandt werden und einige andere, fast ungetrennt, zwischen sie einzuflechten. So gebraucht er in der Regel drei Flöten, zwei Hoboen und ein englisches Horn - , drei Clarinetten - zwei gewöhnliche und ein Baßclarinette - , drei Fagotte, drei Trompeten und drei Posaunen - ein dreitheiliges System, welches außer anderen Vortheilen noch den bieten, daß Instrumente derselben Klangfarbe einen vollständigen Accord einsetzen und aushalten können, ein Umstand, durch den die Instrumentirung mit einem Lichte erhellt und nüancirt wird, das er ausnehmend künstlerisch zu verwenden weiß, und das eine ebenso neue, als durch die Gleichartigkeit der zusammengestellten Instrumente entschiedene und klare Verbindung mit den Worten der Dichtung hervorbringt. - Einen ausgedehnten Gebrauch macht Wagner ferner von der Theilung der Violinen. Mit einem Wort: statt sich des Orchesters als einer in sich einheitlichen Masse zu bedienen, theilt er dasselbe in verschiedene Strömungen oder Güsse, und zuweilen, wenn man uns diese Bezeichnung gestatten will, in Fäden von verschiedenen Farben, die er, ebenso zahlreich, wie es die Spitzenbearbeiterinnen es thun, unter einander verschlingt und durch bewunderungswürdige Gruppirung ein merkwürdiges Muster von unschätzbaren Werthe aus ihnen zu Stande bringt, wo der Hauptfaden die anderen in zartesten Farbenspielen sich rings um sein festes Gewebe lagern läßt. - Bei einem auf die Poesie des Dramas so sehr viel Gewicht legenden Geiste, einer so fein empfindenden und über die Wirkungskraft der geringsten Kunstäußerung mit sich klaren Intelligenz mußte dieses der Eigenthümlichkeit Wagner´s ganz entsprechende Streben, das Orchester in drei Klangströme zu theilen, die gleich mehren Flüssen bei ihrer Mündung in ein und dasselbe Bett ihre verschieden Färbung beibehalten, entweder instinctmäßig gewissen Gedanken von rein geistigem Gehalte entsprechen oder bewußtvoll von ihm zur Darstellung derselben verwendet werden. Und so ist es in der That. Wagner hat sich von seinen ersten Opern an verschiedener Paletten für seine Hauptpersonen bedient: entschieden hat er sich solche für die Personen des "Lohengrin" vorbehalten. Mit je größerer Aufmerksamkeit man diese Partitur durchgeht, desto mehr gewahrt man, welch tief innerlichen Zusammenhang sein Gedicht mit den Orchester verbindet. Er hat nicht nur, wie wir bereits erwähnten, in seinen Melodien Gefühle und Leidenschaften, die er auf der Scene auftreten läßt, personificirt, sondern auch noch ihre Umrisse durch ein charakteristisches Colorit belebt, und zugleich mit den Rhythmen und Melodien eine seinen Charakteren eigne Klangfarbe anvertraut. Elsa´s bezeichnende Scenen werden fast immer von Rohrinstrumenten begleitet, die in den Momenten, wo sie auf das Blech folgen, einen herrlichen Contrast bilden. So wirken sie höchst ergreifend in der Scene, als der Anrede des Kaisers, dessen Worte beständig von Posaunen und Trompeten, die dort in ächt fürstlicher Weise das Orchester beherrschen, begleitet wird, eine lange Pause folgt und man dann ein süßes, luftiges Tonweben sich leise nähern hört, gleich den flüchtigen Zügen eines himmlischen Hauches, um noch vor dem Erscheinen Elsa´s selbst den vollen Glanz ihrer Reinheit dem Zuhörer mitzutheilen. Dieselbe Instrumentierung erscheint wieder, um beim Erscheinen Elsa´s auf dem Söller die düstre Glut des Zwiegesanges Friedrichs´ und Ortrud´s wie mit einen erquickenden Thau zu löschen. Sie eröffnet auch den Zug zum Münster, als die Fürstin mit zahlreicher Begleitung von Edelfrauen sich zur Vermählung begibt, und es gelingt ihr die fromme Erhebung und unschuldsvolle Wollust wieder zu geben, welche dieses Musikstück zu einem der schönsten, wenn auch nicht glänzendsten der Oper macht.

Die Schwierigkeiten, die mit einer befriedigenden Darstellung und Inscenesetzung der Wagner´schen Opern verbunden sind, und zu denen noch der ernste Charakter seiner Stoffe, der erhabene Styl und der Anspruch auf eine gespannte Aufmerksamkeit Seitens des Publicums hinzutreten, werden die Zeit vielleicht noch verzögern, in der sie zu allgemeiner Anerkennung und Popularität gelangen. Ihr Ernst und ihre künstlerische Vollendung machen es ihnen unmöglich, jene leeren Beifallsbekundungen zu beanspruchen, die das Publicum Werken von kurzer Lebensdauer oder dem momentan hinreißenden Enthusiasmus zu zollen pflegt, den z.B. das Genie eines Meyerbeer oder Rossini erregt hat, indem sie alle menschlichen Leidenschaften in sprühenden Funken aufblitzen ließen oder ihnen in pomphaften Accorden Ausdruck verliehen. Vielleicht ist es sogar nothwendig, daß der Staub der Zeit die erhabenen Meisterwerke Wagner´s mit seinem verhüllenden Schleier bedecke, damit spätere denkende Künstler, wenn sie in diesen Partituren blättern, ihre wunderbaren Geheimnisse staunend auffinden, und Dichter, voll Begeisterung für Das, was ihre Vorgänger Großes und Schönes schufen, an diesen Helden sich entflammen, die so riesig über unsere gewöhnlichen Erscheinungen herausragen. - Gewiß kann man nicht sagen, daß die Mittel des weimarischen Theaters für Dramen hinreichend seien, die auf einem so großartigen Gerüste aufgebaut sind. Weder der Umfang der Bühne noch die numerische Stärke des Orchesters, der Chöre und Statisten kann ihren Anforderungen vollkommen entsprechen. Dessenungeachtet haben die begeisterten Anstrengungen, die ausdauernde und muthige Thätigkeit, der stets gleiche gute Wille aller Künstler, die wir die Ehre hatten, zu dirigiren, während der Vorstellung alle etwaigen quantitativen Mängel durch ihre qualitativen Vorzüge vergessen lassen. Die hohe Bewunderung, welche ein Werk von solcher Bedeutung bei genauem Studium entzünden mußte und entzündet hat, bewirkte, daß trotz aller Schwierigkeiten die Aufgabe, wie wir glauben, auf eine würdige Weise gelöst worden ist. Die durch und durch ausgezeichnete musikalische Befähigung der meisten unserer Sänger hat denselben gestattet, die ganze Lebhaftigkeit und Tragik, welche die Hauptrollen erheischen, geltend zu machen, indem sie ihnen eine Unternehmung erleichterte, die für alle mit der Theorie ihrer Kunst nicht vollkommen vertraute Darsteller rein unausführbar gewesen wäre. Fräulein Agthe, die von Natur vollkommen für die Darstellung der Elsa geeignet, hat ihre seraphischen Gesänge mit dem reinsten Verständniß der poetischen und musikalischen Intentionen, mit jenem silbernen und verschleierten Klang der Stimme, den man an ihr kennt, und dem leidenschaftlichen und edlen Accent ausgeführt, den sie schon als Elisabeth im Tannhäuser so rühmlich entwickelt hatte. Auch Fräulein Fastlinger hat durch Gesang und Spiel einen mächtig ergreifenden Eindruck auf ihre Zuhörer gemacht. Bald durch schneidende Kälte und höhnische Verachtung, bald durch eine bis zum Wahnsinn gesteigerte Wuth mußte sie schon im ersten Acte die Aufmerksamkeit des Publicums auf ihr ausdrucksvolles Mienenspiel zu lenken. Von größter Wirkung war aber ihre Leistung im großen Duo des zweiten Actes. - Die Herren Beck, Milde, Höfer u.s.w. haben Alles geleistet, was von ihren ausgezeichneten Talenten zu erwarten war. Die etwaige Unvollkommenheiten, die man vielleicht in den Ensemblestücken zu bedauern gehabt haben mag, werden dennoch nicht die Thatsache wegleugnen können, daß die Darstellung der Oper von Seiten der dabei betheiligten Künstler am Abend des 28. August, an dem zum Zwecke der Erinnerungsfeier an Goethe die erste Aufführung des "Lohengrin" stattfand, all den festlichen Glanz entwickelt hat, der der Einweihung des bedeutendsten Werkes der vereinigten Ton- und Wortdichtkunst angemessen war.

* Widmung der Oper Alceste von Gluck.
Als ich an die Composition der Alceste ging, nahm ich mir vor, alle die Misbräuche zu vermeiden, die die übelverstandene Eitelkeit der Sänger und die übermäßige Gefälligkeit der Tonsetzer in die italienische Oper eingeführt hatten, und die aus dem prächtigen und schönsten Schauspiel das langweiligste und lächerlichste machen. Ich suchte der Musik ihre wahre Stellung wieder zu geben, in der sie bestimmt ist, die Dichtkunst zu unterstützen, den Ausdruck des Gefühls und das Interesse der dramatischen Situationen zu steigern, nicht aber die Handlungen zu unterbrechen und durch überflüssigen Zierrath zu erkälten. Ich hielt es für den Beruf der Musik, der Poesie Das hinzuzufügen, was ein gutangelegte Zeichnung von der Lebhaftigkeit der Farben und dem richtigen Verhältnis von Licht und Schatten erhält: nämlich die Gestalten zu beleben, ohne ihre Umrisse zu verwischen. Ich habe mich also wol gehütet, einen Schauspieler in der Hitze des Dialogs zu unterbrechen, um ein langweiliges Ritornell zu warten, oder ihn inmitten seiner Rede plötzlich auf einem geeigneten Worte halten zu lassen, sei es um in langen Passagen die Beweglichkeit seiner Stimme zu entwickeln oder zu warten, bis das Orchester ihm Zeit gebe, Athem zu neuen Fermaten und Cadenzen zu schöpfen. Ebenso wenig habe ich den zweiten Theil einer Arie, wenn er dem Wort-Inhalte noch richtiger war, schnell übergehen zu müssen geglaubt, um die Worte des ersten Theils regelmäßig vier Mal zu wiederholen, oder auch nach der Arie da zu schließen, wo der Sinn nicht schließt, damit nur der Sänger Gelegenheit erhalte zu zeigen, auf wie verschiedene Weise er eine Phrase zu singen weiß.

Kurz ich habe alle Misbräuche verbannen wollen, gegen die seit langer Zeit gesunde Vernunft und guter Geschmack vergebens angekämpft haben. Ich habe mich überzeugt, daß die Ouvertüre die Zuhörer auf den Charakter der Handlungen, welche ihnen vorgeführt werden soll, vorbereiten und den Stoff derselben abspiegeln soll, daß die Instrumente nur nach Maßgabe der Steigerung des Interesses in den Leidenschaften in Thätigkeit treten dürfen, und daß man besonders vermeiden müsse, im Dialog eine zu scharfe Trennung von Recitativ und Arie vorzunehmen, um nicht auf widersinnige Weise eine Periode zu spalten und die Lebhaftigkeit im Gange der Handlung zu schmälern. - Ferner habe ich gemeint, daß ich vor Allem nach einer edlen Einfachheit zu trachten und daher nicht mit Schwierigkeiten auf Kosten der Klarheit zu prunken hatte. So habe ich auch der Entdeckung von Neuigkeiten nur dann Werth beigelegt, wenn sie durch die Situation ganz natürlich gegeben und durch den Ausdruck vorgeschrieben war, den diese Situation verlangte. Kurz ich habe mich nicht gescheut, abstracte Regeln zu Gunsten der Wirkung zu opfern.