„Oper und Drama” (1850/51)
"Oper und Drama" ist neben seiner Autobiographie "Mein Leben" Wagners umfangreichste theoretische Schrift und bildet das Zentrum der Zürcher Kunstschriften. Wagner begann mit der Niederschrift am 20. September 1850, zu einem Zeitpunkt als er erstmals im privaten Kreis die Festspiel-Idee angedeutet hatte. Das Manuskript konnte Wagner am 10. Januar 1851 abschließen; in den folgenden Monaten befasste sich Wagner mit den Textbüchern zum "Der Ring des Nibelungen" und seiner programmatischen Schrift "Mithteilung an meine Freunde", in der er den Plan eigener Festspiele zur Aufführung des "Ring" erstmals öffentlich machte. Im privaten Kreis gab Wagner im Frühjahr 1851 mehrere Lesungen mit Auszügen aus "Oper und Drama" und widmete bei diesem Anlass die Schrift seinem Freund und Vertrauten, dem Dresdner Orchestermusiker Theodor Uhlig. Die Publikation des Textes verzögerte sich, da Wagner diesmal ein Verlagshonorar erhalten wollte, das er für seine früheren Schriften, die nur in sehr kleiner Auflage erschienen waren, nicht erhalten hatte. Teile erschienen zuerst in der "Deutschen Monatsschrift", einer politischen Zeitschrift deutscher Exilanten in der Schweiz. Eine Veröffentlichung im Leipziger Verlag seines Schwagers Eduard Avenarius lehnte Wagner ab, da Avenarius einen jüdischen Geschäftspartner hatte und Wagner eine Absage befürchtete. "Oper und Drama" erschien schließlich in drei Bänden erst im Laufe des Jahres 1852 im Verlag "J.J. Weber".
Wagner versucht in "Oper und Drama" die Grundlagen des Musiktheaters offenzulegen, nachdem er in den zuvor entstandenen Zürcher Kunstschriften autobiographische ("Mittheilung an meine Freunde") und philosophische Aspekte (" Kunstwerk der Zukunft") seines Schaffens dargestellt hat. Die Erörterung des "Wesens" und der "Natur" von Musik und Dichtkunst in "Oper und Drama" entwickelt die Geschichte der Gattung Oper als Verfallsgeschichte. Wagner Konzept der Oper ist sowohl Erneuerung wie auch Rückkehr zur den angeblich wahren Ursprüngen des Musiktheaters. Sein Ausgangspunkt ist das Verhältnis von Musik und Dichtung, das er in drei großen Kapiteln abhandelt: 1. Die Oper und das Wesen der Musik; 2. Das Schauspiel und das Wesen der dramatischen Dichtkunst; 3. Dichtkunst und Tonkunst im Drama der Zukunft.
Den Ursprung der Oper erkennt Wagner im Volkslied und Tanz, erst später habe sich daraus Arie und Ballett entwickelt. Im Volkslied habe noch die Einheit von Musik und Sprache bestanden, die in der modernen Opernarie verloren gegangen sei. Ausgehend von dieser Intuition beschreibt Wagner die Entwicklung der Oper als Niedergang: bereits mit Rossini sei die "eigentliche Geschichte der Oper zu Ende". Die Melodie habe hier die Oberhand gewonnen. Komponisten wie Weber und Auber hätten diese absolute Melodie Rossinis lediglich national interpretiert. Meyerbeer, zu diesem Zeitpunkt der erfolgreichste Opernkomponist, sei dagegen als Jude nicht im Besitz einer Muttersprache und habe sich daher völlig beliebig unterschiedliche nationale Ausdrucksweisen angeeignet. Damit sieht Wagner einen Tiefpunkt erreicht, den er mit seinem Musiktheater überwinden möchte. An diesem Punkt schließt Wagner erkennbar an seine kurz zuvor veröffentlichte Schrift "Das Judentum in der Musik" an, in der Meyerbeer jedoch nicht explizit erwähnt ist. "Oper und Drama" ist die Fortführung dieser Argumentationen; Wagner charakterisiert Meyerbeer als "Ahaswer", dessen Vernichtung er am Schluss der "Judenthums"-Schrift postuliert hat.
In zweiten Teil schildert Wagner die Geschichte des Dramas ausgehend von der griechischen Tragödie; Shakespeare spricht er dramatische Qualität ab, dessen Bühnenwerke seien lediglich verkürzte Romane. Wagners Musikdrama der Zukunft soll die Rückkehr zu den antiken Ursprüngen erreichen. Der dritte Teil handelt von der Verbindung von Dicht- und Tonkunst, die Wagner als Synthese von Verstand und Gefühl versteht. Dabei stellt das moderne Orchester die Wiederkehr des antiken Chores in moderner Form dar.
Wagners "Oper und Drama" war der Versuch, die Grundlagen seiner eigenen Musikdramen historisch und systematisch zu legitimieren. Seine Deutung der Operngeschichte war dabei in einem hohen Maß eklektisch und diente alleine der Rechtfertigung seines eigenen Schaffens. Die Idee einer ursprünglichen Einheit der Künste in der griechischen Tragödie war romantisches Gedankengut, das einer Überprüfung nicht standhielt. Als Nietzsche in seiner 20 Jahre später veröffentlichten Schrift "Die Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik" Wagners Überlegungen fortsetzte, erfuhr er von Seiten der Fachwissenschaft scharfe Kritik. Erst die Theater-Avantgarde des frühen 20. Jahrhunderts konnte Wagners ästhetische Anschauungen der Geschichte in künstlerisch produktiver Weise umsetzten. |