Dresden

Großer Durchbruch und revolutionäres Scheitern

Wer Wagner in das einstige Elbflorenz folgt, um sich sein dortiges Wirken zu vergegenwärtigen, benötigt viel Phantasie: Das Bombeninferno vom 13. Februar 1945 hat von der Stadt, in der der Künstler seine Kindheit und frühen Schuljahre verbrachte, als Königlich Sächsischer Hofkapellmeister mit den Uraufführungen von "Rienzi", dem "Fliegenden Holländer" und "Tannhäuser" seinen künstlerischen Durchbruch erzielte und fast allen wesentlichen Werkplänen erste Konturen verlieh, wenig mehr als einige traurige, verrußte Ruinen übriggelassen.

Als die Familie Wagners - der kleine Richard war gerade anderthalb Jahre alt - im Spätsommer 1814 von Leipzig nach Dresden in die elegante Moritzstraße zog, zählte die Haupt- und Residenzstadt des Königreiches Sachsen zu den Zentren der Deutschen Romantik. Caspar David Friedrich, der Porträtmaler Gerhard von Kügelgen, der Arzt und Maler Carl Gustav Carus lebten hier; E.T.A. Hoffmann gastierte mit der Secondaschen Theatertruppe, Carl Maria von Weber leitete die Königliche Hofkapelle und verkehrte freundschaftlich mit den Wagners.

Richard war von früh auf mit der Welt des Theaters und der Literatur vertraut. Sein Stiefvater Ludwig Geyer betätigte sich als Schauspieler, Dichter und Maler, sein Bruder Albert wirkte als Sänger und Regisseur, die älteren Schwestern Rosalie und Luise waren Schauspielerinnen.

"Was mich […] beim Besuch des Theaters, worunter ich auch die Bühne, die Räume hinter den Kulissen und die Garderobe verstehe, lebhaft anzog, war weniger die Sucht nach Unterhaltung und Zerstreuung, wie beim heutigen Theaterpublikum, sondern das aufreizende Behagen am Umgang mit einem Elemente, welches den Eindrücken des gewöhnlichen Lebens gegenüber eine durchaus andere, rein phantastische, oft bis zum Grauenhaften anziehende Welt darstellte. So war mir eine Theaterdekoration, ja nur eine – etwa ein Gebüsch darstellende – Kulisse, oder ein Theaterkostüm und selbst nur ein charakteristisches Stück desselben, als aus einer andern Welt stammend, in einem gewissen Sinne gespenstisch interessant, und die Berührung damit mochte mir als der Hebel gelten, auf dem ich mich aus der gleichmütigen Realität der täglichen Gewohnheit in jenes reizende Dämonium hinüberschwang. So blieb mir alles, was zu theatralischen Aufführungen diente, geheimnisvoll, bis zur Berauschung anziehend, und während ich mit Altersgenossen Aufführungen des "Freischütz" nachzuahmen suchte und mit großem Eifer hierbei mich der Herstellung der Kostüme und Gesichtsmasken durch groteske Malerei hingab, übten die zarteren Garderobengegenstände meiner Schwestern, mit deren Herrichtung ich die Familie häufig beschäftigt sah, einen fein erregenden Reiz auf meine Phantasie aus; das Berühren derselben konnte mich bis zu bangem, heftigem Herzschlag aufregen. Trotzdem daß, wie ich erwähnte, in unserem Familienverkehr keine, namentlich in Liebkosungen sich ergehende Zärtlichkeit herrschte, mußte doch die stets nur weibliche Umgebung in der Entwicklung meines Empfindungswesens mich stark beeinflussen." (Richard Wagner: "Mein Leben" (ML))

Bald machte Richard eigene Bühnenerfahrungen: "Nachdem mich "Die Waise und der Mörder", "Die beiden Galeerensklaven", und ähnliche Schauerstücke, in welchen ich meinen Vater die Rollen der Bösewichter spielen sah, mit Entsetzen erfüllt hatten, mußte ich selbst einige Male mit Komödie spielen. Bei einem Gelegenheitsstücke zur Bewillkommnung des aus der Gefangenschaft zurückkehrenden Königs von Sachsen – "Der Weinberg an der Elbe", mit Musik vom Kapellmeister C.M. von Weber, entsinne ich mich, bei einem lebenden Bilde als Engel ganz in Trikots eingenäht, mit Flügeln auf dem Rücken, in schwierig eingelernter graziöser Stellung figuriert zu haben." (ML)

Dresden
   
Morettisches Opernhaus, um 1820  
   
   

Ebenso wie später die Schwestern Rosalie und Luise gehörte der Stiefvater Ludwig Geyer zum Ensemble des Hoftheaters. Als Hoftheater wurde bis 1841 das sogenannte Morettische Opernhaus genutzt. Dieses war 1754/55 zunächst von Julius Heinrich Schwarze und Hofzimmer-, Maschinenbau- und Theaterbaumeister Christian Gottlieb Reuß aus Fachwerk und Holz auf dem Gelände des Italienischen Dörfchens errichtet worden (dort, wo sich heute die Nordostseite des Theaterplatzes an der Semperoper befindet). Wenig später wurde es aus Stein neu errichtet. 1780 wurde es zum Hoftheater ernannt, jedoch nur als das "kleine Hoftheater" bezeichnet, da das noch bestehende, aber nicht mehr als Oper genutzte, Theater am Zwinger (welches von 1719 bis zu seinem Abriss 1849 unweit des heutigen Porzellanpavillons des Zwingers lag) bedeutend größer war.

1821, im Todesjahr des Stiefvaters Ludwig Geyer, zog die Familie in die Waisenhausstraße um. Richard, der das Jahr zuvor im Internat von Pastor Wetzel in Possendorf bei Dresden verbracht hatte, kam zunächst bei einem Verwandten des Stiefvaters, dem Goldschmied Karl Geyer, in Eisleben unter, bevor er nach Dresden zurückkam.

Ab Dezember 1822 besuchte er die Dresdner Kreuzschule: "Dort trat ich als unterster Schüler der untersten Klasse ein und begann nun unter den bescheidensten Anfängen meine gelehrte Bildung. Die Mutter verfolgte mit großer Teilnahme alle bei mir sich einstellenden Anzeichen von geistiger Lebendigkeit und Begabung." (ML). Das bis heute bestehende Evangelische Kreuzgymnasium (auch bekannt unter seinem lateinischen Namen schola crucis) ist eine der ältesten Schulen in Deutschland. Die Geschichte der Kreuzschule ist eng mit der der Kreuzkirche verknüpft, wie damals häufig, war die Schule an die Stadtkirchen angeschlossen, weil dort Bedarf für einen Kirchenchor bestand. 1393 wurde das erste Schulgebäude an der Südseite der Kreuzkirche eröffnet. Erst 1866 entstand ein deutlich geräumigerer Neubau am Georgplatz. Dieses Gebäude fiel 1945 den Zerstörungen während der Luftangriffe auf Dresden zum Opfer. Seither befindet sich die Schule in dem Gebäude des ehemaligen Freimaurerinstituts (errichtet Ende 19. Jhr.) in der Eisenacher Straße im Stadtteil Striesen (Eingang Dornblüthstr. 4).

Der wissbegierige, begeisterungsfähige Richard - er hieß zu diesem Zeitpunkt noch Geyer, nach seinem Stiefvater - avancierte alsbald zum Lieblingsschüler des Magisters Sillig, übersetzte etliche Gesänge der Odyssee, verfasste ein episches Gedicht "Die Schlacht am Parnassos nach Pausanias" und beschäftigte sich mit den Werken E.T.A. Hoffmanns.

Am 8. April 1827 wurde Richard Wagner in der Kreuzkirche konfirmiert: "Der Knabe, der noch vor wenigen Jahren mit schmerzlichster Sehnsucht nach dem Altarblatte der Kreuzkirche geblickt und in ekstatischer Begeisterung sich an die Stelle des Erlösers am Kreuze gewünscht, hatte die Hochachtung vor dem Geistlichen, zu welchem er in die der Konfirmation vorangehenden Vorbereitungsstunden ging, bereits so sehr verloren, daß er zu seiner Verspottung nicht ungern sich gesellte und sogar einen Teil des für ihn bestimmten Beichtgeldes in Übereinstimmung mit einer hierzu verbundenen Genossenschaft vernaschte. Wie es trotzdem mit meinem Gemüte stand, erfuhr ich jedoch fast zu meinem Schrecken, als der Akt der Austeilung des heiligen Abendmahles begann, vom Chor Orgel und Gesang ertönte, und ich im Zuge der Konfirmanden um den Altar wandelte: die Schauer der Empfindung bei Darreichung und Empfang des Brotes und des Weines sind mir in so unvergeßlicher Erinnerung geblieben, daß ich, um der Möglichkeit einer geringeren Stimmung beim gleichen Akte auszuweichen, nie wieder die Veranlassung ergriff, zur Kommunion zu gehen, was mir dadurch ausführbar ward, daß bekanntlich bei den Protestanten kein Zwang hierzu besteht." (ML).

Die Dresdner Kreuzkirche wurde 1897 durch einen Brand weitgehend zerstört, bis 1900 wieder aufgebaut, ging 1945 abermals in Flammen auf und erhielt 1955 ihre heutige Gestalt.

Ende 1827 verließ Wagner Dresden und zog nach Leipzig, wo sich seine Familie erneut niedergelassen hatte.