Mittheilung an meine Freunde (1852)

Diese letzte Publikation aus der Reihe der Zürcher Kunstschriften erschien unter dem Titel "Drei Operndichtungen nebst einer Mittheilung an seine Freunde als Vorwort" 1852 im Leipziger Verlag Breitkopf und Härtel. Die drei Operndichtungen waren die Textbücher von "Der fliegende Holländer", "Tannhäuser" und "Lohengrin". Die "Mittheilung" war jedoch mehr als die Einleitung zu den drei Libretti. Wagner verfasste eine detaillierte künstlerische Autobiographie, seine Kompositionen erklärte er als Teil eines großen Lebensplans. Erstmals versuchte Wagner gegenüber der Öffentlichkeit, eine Erklärung und zugleich Entschuldigung für seine Beteiligung am Aufstand in Dresden im Mai 1849 zu geben. Sein einziges Ziel, so Wagner, sei immer nur die Reform des Theaterlebens gewesen, doch habe seine Tätigkeit an der Hofoper in Dresden ihn zu der Erkenntnis gebracht, dass die Erneuerung des Theaters nur als Teil einer umfassenden Gesellschaftsreform möglich sei:

"So war ich von meinem künstlerischen Standpunkte aus, namentlich auch auf dem bezeichneten Wege des Sinnens über die Umgestaltung des Theaters, bis dahin gelangt, daß ich die Nothwendigkeit der hereinbrechenden Revolution von 1848 vollkommen zu erkennen im Stande war."

Über seine Aktivitäten in Dresden während der Barrikaden-Kämpfe gab Wagner an dieser Stelle jedoch keinerlei Auskunft, sondern er behauptete, sich von der Tagespolitik bewusst distanziert zu haben. Seine Flucht in das Schweizer Exil deutete er entsprechend als einen freiwilligen Rückzug:

"Die von mir gemachte Wahrnehmung der höchsten Unklarheit der streitenden Parteien über das Wesen und den eigentlichen Inhalt der Revolution, bestimmte mich eines Tages selbst öffentlich gegen die bloß politisch formelle Auffassung der Revolution, und für die Nothwendigkeit, daß der rein menschliche Kern derselben deutlich in das Auge gefaßt werde, mich auszusprechen. (. . .) Die Lüge und Heuchelei der politischen Parteien erfüllte mich mit einem Ekel, der mich zunächst wieder in die vollste Einsamkeit zurücktrieb".

Die "Einsamkeit" suchte Wagner in den "frischen Alpenbergen der Schweiz", wie er ausführte. Im Kontrast zu dieser Idylle stand für Wagner Paris, das "moderne Babel", wohin er zunächst auf Anraten Franz Liszts geflohen war, bevor er sich endgültig in Zürich niederließ. Damit verbunden war ein teilweiser Rückzug aus der Öffentlichkeit, worauf Wagner durch die Wahl des Titels dieser Schrift anspielte. Sie richtete sich an seine "Freunde" und nicht an ein allgemeines Publikum.

Nach Rückschau auf seinen künstlerischen Werdegang, machte Wagner auf der letzten Seite der "Mittheilung" eine folgenschwere Ankündigung.

"Ich beabsichtige meinen Mythos in drei vollständigen Dramen vorzuführen, denen ein großes Vorspiel vorauszugehen hat. Mit diesen Dramen, obgleich jedes von ihnen allerdings ein in sich geschlossenes Ganzes bilden soll, habe ich dennoch keine ´Repertoirestücke´ nach den modernen Theaterbegriffen im Sinne, sondern für ihre Darstellung halte ich folgenden Plan fest: - An einen eigens dazu bestimmten Feste gedenke ich dereinst im Laufe dreier Tage mit einem Vorabende jene drei Damen nebst dem Vorspiele aufzuführen: den Zweck dieser Aufführung erachte ich für vollkommen erreicht, wenn es mir und meinen künstlerischen Genossen, den wirklichen Darstellern, gelang, an diesen vier Abenden den Zuschauern, die um meine Absicht kennen zu lernen sich versammelten, diese Absicht zu wirklichem Gefühls- (nicht kritischem) Verständnisse künstlerisch mitzutheilen. Ein weitere Folge ist mir ebenso gleichgiltig, als sie mir überflüssig erscheinen muß".

Mit seinem "Mythos" bezeichnete Wagner an dieser Stelle den "Ring des Nibelungen", dessen Umrisse er hier erstmals für die Öffentlichkeit beschrieben hat. Er kündigte die Erweiterung des "Ring" zur Tetralogie an, der letzte Teil sollte "Siegfrieds Tod" werden, daraus entstand die "Götterdämmerung". Die entscheidende Neuerung war jedoch der Plan, dieses Werk ausschließlich in einem eigenen Theater, dessen Standort noch nicht genau feststand, zu spielen. Die Aufführungen sollten zudem als einmalige Festspiele stattfinden, sein geplantes Theater war damit keine Einrichtung von Dauer. Zuvor hatte Wagner diesen Gedanken in privaten Briefen bereits formuliert. An seinen in Paris lebenden Freund, dem Maler Ernst Benedikt Kietz, hatte er am 14. September 1850 geschrieben:

"Dann würde ich nämlich hier, wo ich gerade bin, nach meinem plane aus bretern ein theater errichten zu lassen, die geeignetsten sänger dazu mir kommen und Alles nöthige für diesen einen besonderen fall mir so herstellen lassen, daß ich einer vortrefflichen Aufführung der oper gewiß sein könnte. Dann würde ich überall hin an diejenigen, die für meine werke sich interessieren, einladungen ausschreiben, für eine tüchtige besetzung der zuschauerräume sorgen und - natürlich gratis - drei vorstellungen in einer Woche hintereinander geben, worauf dann das theater abgebrochen wird und die sache ihr ende hat".

In diesem Brief hatte Wagner angekündigt, das Theater nach der einmaligen Aufführungsreihe wieder abzureißen, wenig Tage später schrieb er an Theodor Uhlig, seinem engem Vertrauten an der Oper in Dresden, er werde nicht nur das Theater zerstören, er wolle zugleich auch die Partitur des Werkes nach den Aufführungen verbrennen. Die Provokationen in diesen privaten Äußerungen hat Wagner für seine öffentliche Ankündigung der Festspiele in der "Mittheilung an meine Freunde" jedoch deutlich abgemildert. Es fehlte jetzt die revolutionäre Idee des freien Eintritts, auch sollte Theater und Partitur nicht zerstört werden. Der Kerngedanke Wagners blieb jedoch erhalten: die Aufführung des "Ring des Nibelungen" wollte Wagner in Opposition zum bestehenden Theaterbetrieb realisieren.